Afrika 2009

"Dieser Kontinent ist zu groß, als dass man ihn beschreiben könnte. Er ist ein regelrechter Ozean, ein eigener Planet, ein vielfältiger, reicher Kosmos. Nur mit der allergrößten Vereinfachung, der Bequemlichkeit halber, können wir von Afrika sprechen. In der Realität, mit Ausnahme der geographischen Bezeichnung, existiert Afrika nicht.(Ryszard Kapuściński)


Das Khomas Hochland im März und August 2009

Afrika ist ein Kontinent, der nicht existiert. In der Vorstellung ist er die unendliche Savanne, in der Politik das nicht ernst zu nehmende Kind, in der Wirtschaft ein Zwerg. In der Tat ist der Kontinent noch heute so unsichtbar, dass es nur die Bilder der Extreme bis zu uns schaffen. Der traurige Blick eines abgemagerten Kindes, Bürgerkriege und Gesundheitskatastrophen. Es scheint als sei ein gesamter Kontinent die Verkörperung des Negativen auf dieser Welt - Krankheit, Gewalt und Tod. Damit wird jedes Interesse an Afrika zum Synonym der Philanthropie.

Aber in unseren Köpfen haben wir noch ein zweites Bild von Afrika. Das eines Traumes. Die in eine Staubwolke gehüllte Zebraherde auf der Flucht vor dem Löwen. Volksstämme, die mit spärlicher Bekleidung und bunten Bemalungen um Feuer herumtanzen oder Schulkinder die im Schatten eines Baumes unterrichtet werden.

Das ist Afrika. Ein Ort, den wir nur von Bildern kennen, den wir in seiner Gesamtheit eigentlich gar nicht begreifen können und es auch nicht wollen. Vielmehr dient der ferne Kontinent oft als Mahnung, als Erinnerung daran, dass es uns doch eigentlich viel besser geht als wir es empfinden. Kindern wird erklärt sie sollten sich glücklich schätzen mit dem was mittags auf dem Tisch steht, denn in Afrika hungerten die Kinder. Erwachsene schreiben die Namen von Hilfsorganisationen auf Überweisungsbögen, denn unser Geld kann in Afrika leben retten.

Wir stellen uns vor, wie dort in Afrika, an einem Ort von dem wir nicht wissen wo er liegt, Schulen gebaut werden. Oder Krankenhäuser und vielleicht auch eine Straße. Auf Plakaten und in Zeitschriften abgedruckte Bilder zeigen die vor Freude strahlenden Gesichter der Kinder, die zum ersten Mal ein Schulbuch in der Hand halten. Die erleichterten Gesichter der Mütter, die das Wasser aus modernen Brunnen bekommen und nicht mehr kilometerweit zum nächsten Fluss wandern müssen. Die strahlenden Gesichter der Menschen, wenn sie Säcke von Getreide in Empfang nehmen, die ein Hilfstransporter in das Dorf gebracht hat. Wir werden zu Kinderpaten und sind gerührt von Postkarten, die krakelige Danksagungen enthalten. Wir haben geholfen, etwas von unserem Überfluss abgegeben und Menschen eine Zukunft ermöglicht, die ohne Hilfe keine gehabt hätten.



Doch in unserer modernen Welt, in der das Reisen einfacher ist als je zuvor und Informationen sich in Sekundenbruchteilen um den Globus schicken lassen, tauchen auch noch andere Bilder auf. Bilder von Afrika, die nicht in unsere Vorstellung passen, die dafür prädestiniert sind unbetrachtet zu bleiben. Sie zeigen geschäftige Städte mit etlichen Hochhäusern und Einkaufszentren mit modernen Glasfassaden. Hupende Autos, geteerte Straßen, Menschen, die in Straßencafés einen Cappuccino trinken. Sie machen Werbung für Tauchkurse, Safaris oder Fallschirmsprünge. In welche Schublade können wir diese Bilder stecken? Garantiert nicht in die eine, in die wir vorher schon Afrika gelegt haben. Es sind unvereinbare Gegensätze. Die Bilder der lärmenden Städte würden unsere Vorstellung von den abenteuerlichen Savannen und der unendlich weiten, unberührten Natur zerstören. Die des Reichtums würden unser Mitleid, das wir für die Menschen in Afrika haben, in Gefahr bringen.

Es ist das fehlende Wissen, das uns daran hindert Afrika zu verstehen. Aber nicht nur. Vor allem auch weil wir es nicht müssen, wollen wir schlichtweg nicht begreifen, dass Afrika einfach nur ein weiterer Kontinent ist, der mit üblichen Transportmitteln zu erreichen ist und auf dem man leben kann, wie auf jedem anderen auch. Allzu perfekt deckt unser Bild von Afrika zwei Bereiche ab, die wir unbedingt in unserem Leben wissen, gleichzeitig im Alltag aber auf Distanz halten wollen: Elend und Abenteuer.


Blick von meiner Wohnung über Windhoek


Innenstadt Windhoeks


Inzwischen schreiben wir das Jahr 2010. Damit liegen meine ersten Erfahrungen auf dem bis dahin auch mir fremden Kontinenten bereits in einem vergangen Jahr. Um eines vorweg zu nehmen: Meine Zeit in Afrika hat nicht mich als Person grundlegend verändert, dafür aber sicherlich die Karten für meine Zukunft völlig neu gemischt. Namibia hat mich gefesselt wie kein Land zuvor.

Die größte Erkenntnis aus sechs Monaten im südlichen Afrika ist nicht so banal wie sie klingt: Afrika ist ein Kontinent. Ein Gebiet, das inzwischen 53 unabhängige Staaten umfasst und das damit so vielfältig ist, dass ihm die Zusammenfassung unter dem Begriff Afrika allerhöchstens geographisch gerecht wird. Womit wir zurück bei der oben zitierten Aussage von Ryszard Kapuściński wären.

Ohne konkrete Vorstellungen aber neugierig hatte ich die Koffer für ein halbes Jahr Afrika gepackt. Die darauffolgende Zeit sollte mein Weltbild um einen wesentlichen Teil erweitern. Der Traum in Afrika zu leben wurde auf einmal Realität. Von ganz alleine wichen damit die bis dahin angesammelten Einzelbilder einem immer umfassenderen Gefühl dafür, was Afrika wirklich bedeutet. Es war als las ich Tag für Tag in einem Buch, von dem ich schon viel gehört hatte, bei dem ich aber erst während des Lesens begriff, worum es eigentlich ging. Und es war ein unheimlich vielfältiges Buch. Auf eindringliche Weise erzählte es von Kulturen, Landschaften, Sprachen, Politik, Wirtschaft, Hoffnungen, Schicksalen und Freundschaft.

Ich habe mehr erlebt, als ich mir je erträumt hatte. Ich habe mit namibischen Politkern gearbeitet, habe in Dörfern von Urvölkern gestanden, mit einheimischen Familien am Lagerfeuer zu Abend gegessen, gesehen was Diktatur bedeutet, habe mir etliche Stunden mit anderen Reisenden die Flächen von Pick-ups geteilt und habe Sonnenuntergänge in der Wüste erlebt. Innerhalb von sechs Monaten bin ich geschätzte 12.000 Kilometer gereist und habe sieben afrikanische Länder besucht. Die unzähligen Begegnungen kann ich unmöglich in wenigen Sätzen zusammenfassen, doch fallen mir immer wieder Situationen ein, die unterwegs einfach passiert sind, die mir im Nachhinein aber viel bedeuten.


Jetzt bin ich zurück in Europa und habe die Chance von Afrika zu berichten und im Kleinen vielleicht das ein oder andere Vorurteil zu entkräften. Denn ich glaube das ist wichtig. Seit Jahrzenten ist Afrika Objekt negativer Berichterstattung in den Medien sowie solidarischer Predigten in den Kirchen. Es wird uns eingeprägt, dass wir dem verarmten Kontinenten, der von Gewalt und Krankheit geplagt ist, helfen müssen. Und genau diese verallgemeinernde Grundannahme ist in meinen Augen ein großer Irrtum. Ein Irrtum an dem die Wohlstandssteigerung Afrikas letztendlich scheitern kann. Zwar sind wir schon wesentlich weltoffener als wir es noch vor wenigen Jahrzenten waren, als die afrikanischen Ureinwohner von den Kolonialmächten kurzerhand als niedrigere Lebewesen eingestuft wurden, doch so richtig ernst nehmen wollen wir die Afrikaner bis heute nicht.

Mitleidig schauen wir auf Afrika als wäre der Kontinent nur ein einziger kleiner Ort, dessen Menschen grundsätzlich benachteiligt wären und ohne fremde Hilfe noch nicht einmal überleben könnten. Die Erkenntnis, dass auch diese Menschen geniale Einfälle haben, nachahmenswerte Moralvorstellungen besitzen und mitunter leistungsfähiger sein können als jeder Europäer, wird hingegen verdrängt. Das führt dazu, dass internationale Unternehmen nicht in Afrika investieren wollen, afrikanische Politiker international kaum Mitspracherecht haben und Touristen regelrecht erwarten das Elend in Afrika vorzufinden, von denen die Medien seit einher berichten. Solange wir die afrikanischen Länder auf all diesen Ebenen nicht Ernst nehmen, werden es die vielen Hilfsorganisationen, denen wir täglich Geld überweisen, schwer haben überhaupt Verbesserungen zu erreichen.

Am einfachsten wäre es wenn ein jeder nach Afrika reisen könnte um festzustellen, dass die Realität nur entfernt unseren Vorstellungen entspricht. Mit meinem Blog habe ich stets versucht zu zeigen wie ich Afrika erlebt habe. Doch selbstkritisch muss ich eingestehen, dass ich oft dazu tendierte von dem zu schreiben, was der Leser eines Afrika-Blogs erwarten würde. Ich habe Fotos vom Armenviertel Katutura gezeigt, über die Unsicherheit in Windhoek berichtet und erzählt, wie ich den Himba begegnete. Letztendlich wollte ich ja auch von meinem Abenteuer berichten und weniger davon, wie ich Kaffee trinkend auf meiner eigenen Terrasse saß, in Joe´s Beerhouse Stakes gegessen oder in Zimbabwe Tabu gespielt habe. Wahrscheinlich kann man daher genau die Wahrheit aus meinen Texten herauslesen, die man hören möchte. Man kann, muss aber nicht. Wenn ich einen Wunsch aus Afrika mit nach Haue gebracht habe, dann den, dass immer mehr Menschen umdenken lernen und Afrika nicht länger nur als Synonym von Armut und des Rückstand verstehen.


Denn Afrika ist so viel mehr. Es ist eine bunte Mischung aus Kultur, Modernität und Religion. Aus unendlicher Weite und Dörflichkeit. Aus Lebensfreude und Hoffnung. Aus Abhängigkeit und Zusammenhalt. Mich hat dieser warmherzige Kontinent gefesselt. Mindestens so sehr, wie es meine Sitznachbarin schon auf dem Hinflug prophezeit hatte: „Egal wie ungemütlich, unsicher und erschreckend die afrikanische Realität manchmal sein kann, die schönen Erinnerungen lassen dich nie wieder los.“ Sie hatte Recht.

Zu jeder Zeit hatte ich das Gefühl willkommen zu sein. Willkommen in dieser Welt, die so herzlich, bunt und spannend zu sein vermochte. Ich bin überaus interessanten und vor allem auch interessierten Menschen begegnet und habe mich unterwegs so frei gefühlt wie noch selten zuvor. Für mich steht schon jetzt fest, dass die sechs Monate im südlichen Afrika erst der Anfang gewesen sein sollen. Auch wenn mein Traum gerade erst in Erfüllung gegangen ist, träume ich jetzt davon wieder zurückzukehren und länger zu bleiben. Auf dem Kontinenten, den es definitiv und ganz lebendig gibt. Afrika. (06.01.2010)


Steppenbegegnungen









Unterwegs

Von A nach B Ein weißer Pickup hält. Als ich auf den Beifahrersitz klettere, brettert ein gelb-grüner Ford an uns vorbei. „Du hast Glück gehabt, dass du da nicht eingestiegen bist“, sagt der Fahrer grinsend. „Der Kerl hat nur noch ein Bein, er benutzt seinen Gehstock um Gas zu geben.“

Kontraste Ich schlage mein Zelt in auf einem Campingplatz direkt am Okavango auf. Die Anlage wirkt wie ein Dschungel, in den Baumkronen gibt es sogar Baumhütten für Übernachtungsgäste. Die Übernachtung kostet nicht viel und ist dennoch luxuriös. Toiletten, fließend Wasser und eine Bar. Als ich das Gelände verlasse um den Flusslauf zu erkunden, stoße ich auf zwei nackte Gestalten. Eine Mutter und ihre Tochter haben die Wasserleitung, die zum Camp führt, angezapft und duschen sich mit dem frischen Wasser.

Weltenbummler Im Norden Namibias treffe ich Rob. Der schlaksige Engländer ist gelernter Installateur und hat vor drei Monaten seinen Job geschmissen und mit dem Motorrad Afrika zu umrunden. Entlang der Westküste hat er schon fast die Hälfte des Weges hinter sich gebracht, am Südkap will er seine Schwester treffen. Heute, ein Jahr später, erfahre ich, dass Rob es auf dem Rückweg nur bis nach Malawi geschafft hat. Von dem Land fasziniert ist er dort hängengeblieben, zumindest vorübergehend.

Entwicklung Auf dem Open Market in Katima Mulilo esse ich Maisbrei mit Fisch und Spinat. Es ist das zweite Mal, dass ich mich auf einem Open Market befinde, nachdem ich während meines Praktikums schon viel darüber gehört hatte. Irgendwie wirkt der Markt mit seinem geputzten Pflastersteinen und modernen Ständen künstlich. Die meisten Stände sind ohnehin nur karg ausgestattet und von Kundschaft fehlt jede Spur. Anderswo in Afrika habe ich die buntesten Märkte gesehen, auf denen auch nachts bei Kerzenschein noch Waren die Besitzer wechselten. Doch hier im Norden Namibias wird deutlich, dass eine gute Idee der Politik allein noch lange nicht reicht um Entwicklung zu erreichen.

Schattenwirtschaft Als ich am Straßenrand in Sambia eine Stunde auf eine Mitfahrgelegenheit warte fährt ein Auto an mir vorbei hält aber wenige Meter weiter am Straßenrand. Wie auf Kommando springt die Tür einer unscheinbaren Holzhütte auf und ein Mann mit Benzinkanister kommt hervor. Ein zweiter kommt herbeigelaufen und holt einen Kanister aus einem Erdloch. Ein dritter Mann steht etwas weiter ab merkt, dass er den Wettbewerb um dieses Auto verloren hat. Die beiden ersten Männer haben das Auto erreicht und zwischen ihnen entflammt ein Streit. Während der eine Benzin aus seinem Kanister gießt, steht der zweite fluchend daneben und versucht erfolglos auf den Fahrer einzureden. Alle zehn Minuten halten neue Autos und das Spiel wiederholt sich. Der Benzinverkauf hier ist illegal, über die naheliegende Grenze schmuggeln die Männer billiges Benzin aus Namibia nach Sambia.

Dokumente Unterwegs sammeln sich immer mehr Papiere an. Die Einreise nach Sambia, 50$, ein Stempel, eine Quittung. Visiten- karten von Mitfahr- gelegenheiten. Simkarten aus den verschiedenen Ländern, ein Ärzteattest aus Harare, Bustickets. Insgesamt bin ich 78 mal neu eingestiegen, ob in Taxen, Minibusse, auf Fähren, Fahrrad-Gepäckträger oder in Züge. Mal bezahlt, mal kostenlos, meistens abenteuerlich. Über- nachtet habe ich in Hostels, auf Campsites oder auf Sofas von Couchsurfern, einmal am Sand- strand Mosambiks. Für manch eine offizielle Bescheinigung habe ich Stunden gewartet, bin zwischen verschiedenen Büros hin und her gefahren, andere sind handgeschrieben.

Ohne Grenzen An den Victoriafällen treffe ich Nick, der nur wenig älter ist als ich. Er gehört der Vereinigung Anwälte ohne Grenzen an und hat gerade Kriegsgefangene aus dem namibischen Unabhängigkeitskrieg verteidigt. Seine nächste Station ist der Kongo, bevor seine abenteuerliche Reise ihn nach Simbabwe verschlägt. Dass der Freiwillige mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn überall mit offenen Armen empfangen wird, bezweifle ich.

Armut Als der Mann neben mir seine Lebensgeschichte herunterleiert, erwarte ich schon die Frage nach Geld. Doch dieses Mal ist es anders und der Mann bittet mich nicht um Bargeld sondern um ein Paket Mehl. Ich lasse mich darauf ein und kaufe ein Paket Mehl und ein Paket Zucker in einem Eckkiosk. Die Freude des Mannes ist echt, überglücklich wünscht er mir den Segen Gottes bevor sich unsere Wege wieder Trennen.

Unterwegs Ich sitze auf der Kante der Pickup-Ladefläche und klammere mich an der Fahrerkabine fest. Insgesamt über 20 Frauen und Männer teilen sich mir die nicht allzu große Fläche des Wagens. Es geht über eine kurvige Schlammstraße über Hügel und durch Pfützen. Jedes Mal wenn wir ein Schlagloch treffen, droht es mich vom Wagen zu werfen. So fahren wir eineinhalb Stunden und als die Sonne untergeht und der Fahrtwind kalt über die Fahrerkabine hinweg bläst, wird es still. Man merkt, dass alle nur noch darauf hoffen endlich anzukommen.

Reiseglück Ich sitze am Strand von Cape McClear in Malawi. Vor mir habe ich ein weißes Blatt Papier für meine weitere Reiseplanung. Tanzania und Zanzibar? Oder doch über den See und dann in den Norden Mosambiks? Johannesburg oder Harare? Ich habe Zeit, Spaß am Reisen und bisher so viele gute Erfahrungen gemacht, dass ich fast vergesse wie glücklich ich mich schätzen kann überhaupt hier zu sitzen. Der Traum durch Afrika zu reisen ist Realität geworden.

Innere Ruhe In einem dunklen Raum steht ein einzelner Computer, der Bildschirm flackert und quietschende Laute kommen aus dem Modem als sich die Internetverbindung langsam aufbaut. Ich bin in Senga Bay am Malawisee und versuche auf meine E-Mails zuzugreifen. Als sich das Postfach endlich öffnet finde ich eine E-Mail aus Schweden, die Antwort auf meine Bewerbung um ein Studium. Doch irgendetwas stimmt nicht, der Text ist zu kurz. Und tatsächlich lese ich den folgenschweren Satz „Ihre Bewerbung wurde gelöscht, da ihr Profil nicht den Anforderungen entspricht“. Für einen Augenblick bin ich geschockt. Mit der Absage fällt meine gesamte Planung für die Zeit nach Afrika, einen Plan B habe ich nicht und für neue Bewerbungen ist es ohnehin zu spät. Ich bezahle für das Internet und gehe ins Dorf. Als ich über den Markt schlendere und das bunte Marktreiben sehe muss ich grinsen. Was für eine Ironie. Gerade erst ist für mich eine ganze Welt zusammengebrochen und doch berührt es mich irgendwie gar nicht. Ich bin in Afrika, auf meiner großen Reise. Schweden ist weit weg, das Studium ist es auch. Irgendwie wird es schon weitergehen. Die Erde dreht sich weiter und es gibt nichts Unwichtigeres als den perfekten Lebenslauf. Kein Ort hätte mir das anschaulicher vermitteln können als das malawische Senga Bay.

Malaria Mein Kopf hämmert, meine Beine sind schwach und ich habe Schüttelfrost. Mit Mühe lese ich mir die Information auf dem Zettel auf und unterschreibe. 60$ damit ich einen Arzt sehen kann. Es ist eine nette Ärztin, die mir einige Fragen stellt. Dann bekomme ich zwei Spritzen, zu diesem Zeitpunkt würde ich allem zustimmen um die Kopfschmerzen loszuwerden. Noch einmal 110$. Dann wird mir Blut abgenommen. Mit der Blutprobe fahren wir einige Straßen weiter in ein Labor. 50$ und das Blut wird auf Malaria untersucht. Nach einer endlos langen Stunde dann das Ergebnis. Es ist kein Malaria. Es soll noch zwei Tage dauern bis die Medikamente wirken, aber der Befund ist beruhigend.

Irgendwie nirgendwo


Eines Abends schreibe ich einen verzweifelten Satz in meine Reisenotizen: "Die Stadt ist klein, hässlich und langweilig."
Es ist früher Morgen in Cuamba, einer Provinzstadt im Norden Mosambiks. Als ich in der Nacht zuvor ankam hatte ich entschieden den Zug am nächsten Tag nicht zu nehmen und stattdessen einen Tag in der Stadt zu bleiben. Eine Entscheidung, die ich schon bald bereuen sollte. Zwar stehe ich weder unter Zeitdruck möglichst schnell weiter zu kommen, noch fühle ich mich besonders unwohl in Cuamba. Doch schnell merke ich eines: hier gibt es absolut nichts zu tun.

Sogar der Wikipedia Artikel über das Städchen liest sich spannender als ein Rundgang durch dasselbe ist. 75.000 Einwohner, ein Wasserkraftwerk in den umliegenden Bergen, ein kleiner Flughafen, eine agrarwissenschaftliche Fakultät.
Als ich durch die weiten staubigen Straßen schlendere, sehe ich nichts davon. Ein paar Männer entladen einen LKW, ein anderer malt ein großes Logo auf die Wand seines Geschäftes. Eine handvoll Jugendlicher sitzt auf einem Bordstein. Doch sonst ist es still, die Sonne ist glühend heiß, Wachmänner sitzen rührungslos auf Plastikstühlen vor ummauerten Gebäuden. Ich finde ein Internetcafé, das über Computer aber keine funktionierende Internetverbindung verfügt. Etwas in  meinem Blog zu schreiben kann ich hier also auch vergessen. Dann stoße ich auf eine kleine Markthalle. Die Händler sitzen hinter ihren Holztischen und lächeln mich an. Streichhölzer, Schraubschlüssel, Seife, Fliegenfänger. Nutzlos. Ich such etwas zu essen, finde aber nur Bananen und trockenes Brot. Immerhin, denn Supermärkte gibt es hier nicht.

Zurück in meine Unterkunft, die Hitze macht müde. Ich habe ein kleines quadratisches Zimmer ohne elektrischen Strom und Fenster. Ich setze mich auf mein Bett und muss eine Kerze anzünden um etwas zu sehen. Aber das Lesen bei diesem Licht ist anstregend. Das Badezimmer auf dem Flur ist nicht sehr einladend. Es ist dunkel, stinkt nach Fäkalien, Mückenschwärme schwirrem um die Toilette und fließend Wasser gibt es nicht.

Ich gehe wieder zurück nach draußen, nehme meine Kamera mit um mir mit Fotografie die Zeit zu vertreiben. Doch letzentlich mache ich nur drei Fotos. Alle zeigen Mauern mit Logos oder Aufschriften. Ich fotografiere nicht ein Gebäude, nicht einen Menschen. Tudobom steht auf einer Mauer: Alles gut. Ja, alles ist gut. Es ist weder gefährlich hier, noch hektische oder ungemütlich. Alles gut eben. Neutral und langweilig. Mitten im wunderschönen Mosambik und doch mitten im Nichts.
Wo sind die Menschen, die hier leben? Womit verbringen sie ihre Zeit? Was zieht sie in diese Stadt? Ich soll es an diesem Tag nicht herausfinden. Als ich am nächsten Morgen den Zug besteige bin ich erleichtert endlich wieder unterwegs zu sein. Und doch bestätigt mir die Zwischenstation in Cuamba, dass ich auf der richtigen Route bin. Afrika ist eben nicht immer nur Musik, Sonne und Panorama.

Unterwegs mit Alexandria

Die malawische Likoma Island liegt im Malawisee wenige Kilometer vor der Küste Mosambiks. Das Leben auf der gerade einmal zwei Kilometer breiten und acht Kilometer langen Insel folgt seinen eigenen Gesetzen. Etwa 7000 Nyanja, Chewa und Tonga leben hier vom Maisanbau oder dem Fischfang. Meistens ist es ruhig auf der Enklave, die wegen ihrer Vegetation auch Affenbrotbaum-Insel genannt wird. Man sieht die Einwohner an den Stränden bei der Wäsche, hinter hölzernen Verkaufsständen im Dorf, an der Kathedrale zur Gebetszeit oder am Wegesrand, wo sie mit kleinen Hämmern Steine für die Baustellen zerkleinern.

Zwei mal in der Woche wird es hektischer auf der Insel, dann strömen die Bewohner zum kleinen Hafen, wo die Ilala-Fähre vor Anker geht. In einer stundenlangen Prozdedur verkehren zwei Beiboote zwischen der Fähre und dem Strand. Geduldig warten die Passagiere am Strand, wenn unzählige Säcke mit Lebensmitteln, Gebrauchswaren und sogar Möbeln umgeladen werden. Jedesmal kommt auch eien handvoll Rucksacktouristen mit an Land. Dann legt die Fähre irgendwann wieder ab und die Ruhe kehrt zurück.

Als ich auf dem Weg über die hüglige Insel bin, treffe ich den 16-jährigen Alexandria. Wir gehen eine Zeit lang in dieselbe Richtung. Da sein Englisch nicht besonders gut ist, ist eine Unterhaltung schwierig. Doch immer wenn Alexandria nicht weiß was er sagen soll, fängt er an aufzuzählen: "Greece: Athens. Egypt: Cairo. Belgium: Bruxelles ..." Er lese gerne, sagt er. Er wird in der kleinen Kathedrale von den Priestern unterrichtet, dort gebe es sogar eine Bibliothek mit Büchern und Landkarten. Wenn er groß ist, möchte er selbst einmal Priester werden. Vielleicht auf Likoma Island, vielleicht aber auch in Malawi oder Mosambik. Zweimal war er mit seinen Eltern schon auf dem Festland, aber das sei lange her, sagt er. "Mozambique: Maputo. Japan: Tokyo. Scottland: Edinburgh ..."

Von der Insel aus möchte ich nach Mosambik einreisen. Da ich das malawische Festland schon verlassen habe, muss ich auf Jack warten. Jack ist ein mobiler Grenzbeamter, der ab und zu auf die Insel kommt um malawische Ausreisestempel auszustellen. An meinem dritten Tag auf der Insel höre ich, dass Jack im Dorf ist und tatsächlich finde ich ihn am Strand in einem nicht fertiggestellten Steingebäude. Hier steht er hinter einer kleine Betonmauer, vor der sich eine Schlange gebildet hat.

Einen Tag später klettere ich vom Beiboot auf die Ilala Fähre. Ich sitze an Deck als Alexandria plötzlich auftaucht. Ich muss gewusst haben, dass ich heute fahre und ist gekommen um sich zu verabschieden. Auf dem Weg auf das untere Deck dreht er sich dann noch einmal um und zählt auf: "The elements of weather: wind, temperature, atmospheric pressure, humidity, clouds, precipitation ..." Dann ist er verschwunden. Bald wird Alexandria achtzehn und ist damit vielleicht alt genug für die Priesterschule. Ob er auf Likoma bleiben wird? Ob er jemals die Möglichkeit haben wird die Stadt zu besuchen, nach der er vielleicht bennant worden ist? Die berühmte Bibliotheca Alexandrina jedenfalls würde ihn begeistern. Insgeheim wünsche ich Alexandria eine Zukunft jenseits der Priesterschule, irgendwo da draußen in der Welt, deren Geographie er schon so gut kennt. Aber Träume sind wohl immer eine Frage der Perspektive und Vorbilder sind es auch.

Das vergessene Kolonialerbe


Wir wissen wenig über Afrika. Es ist ein fremder Kontinent, der für viele so fern wie uneinladend wirkt. Nur wenige von uns sind schon einmal dort gewesen und ebenso wenige haben vor in ihrem Leben auch nur einmal in die Breitengrade südlich der Sahara zu reisen. Doch eigentlich ist das verwunderlich. Noch keine zwanzig Jahre sind vergangen seitdem die letzte europäische Kolonialmacht unter internationalem Druck ihre Machtansprüche in Afrika aufgab. Und noch vor fünfzig Jahren war Afrika komplett in europäischer Hand. Großbritannien, Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, Belgien und auch Deutschland hatten den eroberten Kontinenten großzügig untereinander aufgeteilt. Wir Europäer waren überall. An der Macht, im Bildungssystem, in den Kirchen, an den Bodenschätzen und auf den wichtigen Handelsrouten. Doch heute wollen nichts mehr davon wissen. Auf einmal ist Afrika dritte Welt, von unserer ersten Welt also auf sicherem Abstand. Genauso schnell wie die Europäer im 19. Jahrhundert den afrikanischen Kontinenten überfielen, waren sie dann in den siebziger Jahren wieder weg.

Doch Spuren sind geblieben. Noch heute gibt es sie, die Weißen in Afrika. Mittlerweile leben sie hier mindestens in zweiter oder dritter Generation und sind somit, im Gegensatz zu ihren Vorfahren, zu Hause. In Südafrika, Namibia oder Zimbabwe leben sie als Großgrundbesitzer, leiten Familienbetriebe oder haben gut bezahlte Jobs in den Städten. Als ich durch Zimbabwe reise bin ich auf einmal mittendrin in dieser Welt.

Für ein paar Nächte bin ich bei Italiener Paolo und seiner Frau, deren Großeltern aus Großbritannien einwanderten. Ihr Haus ist ein typischer Kolonialbau, mehrstöckig mit Veranda und großem Garten (siehe hier). Am ersten Abend nehmen die beiden mich mit zu einer Feier zu der sie eingeladen sind. Mit Paolos knatterdem Ford fahren wir ans andere Ende der Stadt. Da es inzwischen dunkel ist haben wir eine große Taschenlampe dabei. Denn Abseits der Hauptstraßen funktioniert die Straßenbeleuchtung nicht und wir müssen die Häuserwände ableuchten um die richtige Hausnnummer zu finden.

Ein mit Schrotflinte bewaffneter Sicherheitsmann öffnet uns das Tor zum Haus der Familie, die wir besuchen. Wir parken das Auto neben dem Pool und werden von den Gastgebern empfangen. Die Runde der Gäste ist bunt gemischt - Briten, ein Inder, eine Ukraninierin, ein Halbdeutscher und eine Griechin. Es ist ein Abend, der wenig afrikanisch wirkt. Zu Essen gibt es Pizza aus Pappschachteln, der Inder erzählt von abenteuerlichen Flügen mit Air Zimbabwe, wo er als Pilot arbeitet und der Gastgeber führt stolz seine neue Stereoanlage vor. Er muss erklären, wo er diese bekommen hat, denn moderne Technik ist im wirtschaftlich maroden Zimbabwe ungewöhnlich.

Wir spielen Tabu, die englische Version mit Begriffen aus der britischen Geschichte, aus Film und Gesellschaft. Im Laufe des Abends unterhalte ich mich mit Andrew, der hier in Zimbabwe geboren wurde. Er erzählt davon, wie sich das Leben unter der Diktatur von Robert Mugabe innerhalb der letzten zehn Jahre verändert hat. Erst die große Inflation, dann der Zusammenbruch der Stromnetze und der Telefonverbindungen. Bis heute haben Supermärkte nur wenig Auswahl in den Regalen und alte Verkehrsnetze liegen still. "Aber man kann das alles auch positiv sehen", meint Andrew. "Auf einmal mussten wir lernen ohne Kühlschränke zu leben. Ohne Computer und ohne Telefon. Anstatt sich anzurufen, hat man angefangen sich wieder mehr zu besuchen. Stell dir eine Welt ohne Internet vor". Andrew kramt in seiner Hosentasche. "Hier, ich habe auch ein Handy. Aber nicht zum Telefonieren, ich benutze es als Kamera, denn in der Stadt ist es verboten Fotos zu machen."

Von diesem Verbot bemerke ich nichts, als ich am nächsten Tag mit meiner Kamera durch die Innenstadt Harares gehe. Doch die Vorsicht Andrews sowie der sonderbare Tabu-Abend im Villenviertel der Hauptstadt verdeutlichen das Verwürfnis zwischen der Regierung Zimbabwes und ihrer weißen Bevölkerung. Zur gleichen Zeit zu der ich in Harare bin kämpft ein weißer Farmer vor dem internationalen Gericht in Windhoek um sein Recht auf Landbesitz in Zimbabwe. Noch ein Jahr zuvor war er von Anhängern Mugabes auf seiner Farm überfallen worden und hatte den Angriff nur schwerverletzt überstanden. Es ist kein Einzelfall in der Gegenwart Zimbabwes. Viele der Weißen haben das Land verlassen. Das Land, das zwar ihre Vorfahren unrechtmäßig eingenommen hatten, in dem sie selbst aber aufgewachsen waren. Die, die geblieben sind, leben ihr eigenes Leben, in einer Randgesellschaft von Einwanderern, mit eigenen Netzwerken und in der Hoffnung auf besser Zeiten.

"Hat Andrew dir gestern von seiner Familie erzählt?", fragt Paolo am nächsten Morgen als wir auf seiner Veranda sitzen. "Er ist der Cousin von Chris Martin, du weißt schon, der Sänger von Coldplay. Noch letztes Jahr wollte Chris zusammen mit Gwyneth Paltrow hierher kommen um seine Familie zu besuchen. Letztendlich hat er die Reise wegen der politischen Situation abgesagt." Man kann ein wenig Stolz in Paolos Stimme erkennen, vor allem aber Verbitterung. "Tja, was soll man machen", fügt er resigniert hinzu und lässt seinen Blick über den Garten schweifen. Dann gibt er sich einen Ruck und steht auf: "Komm! Ich nehme dich mit zu einem Bekannten. Er hat ein Ersatzteil für meinen Ford besorgt."

Im Schatten der Sonne


Nicht alle meine Erinnerungen an die Reise durch Afrika sind positiv. Die meiste Zeit vermag ein bunter Mantel von Kultur, Lebensfreude und atemberaubender Natur die negativen Seiten der afrikanischen Realität für den Reisenden verbergen. Doch unausweichlich und oft unvermittelt holt einen die Realität ein, inbesondere abseits der vorgetreten Reiserouten.

Nach einem langen Tag und 250km Umweg auf der Suche nach einer Bank, bin ich in Monkey Bay am Malawisee. Den Rucksack in einem kleinen Hostelzimmer abgestellt, befinde ich mich auf dem örtlichen Markt um etwas zu Essen zu suchen. Dicht an dicht stehen hier die aus Holz gezimmerten Verkaufsstände, Menschen drängen sich durch die so entstandenen engen Gassen. Doch die Anzahl der unzähligen Stände spricht nicht gerade für Vielfalt. Wie auf den meisten Märkten Afrikas, finde ich auch hier nur drei Typen von Ständen. Die mit einer erstaunlichen Vielfalt an Kosmetikartikeln, die mit kleinen Werkzeugen und Vorhängeschlössern und die mit rohem Gemüse. Wenige bis gar keine der angebotenen Waren haben irgendeinen Nutzen für mich. 

Inzwischen ist es dunkel. Ein junger Mann hatte mich beobachten und kommt jetzt zu mir herüber. Ob ich ein Restaurang suche, fragt er und es ist unschwer zu erkennen, dass er betrunken ist. Von meinen bisherigen Erfahrungen weiß ich, dass es das beste ist sich jetzt nicht auf ein Gespräch einzulassen. Doch dafür ist es schon zu spät, der Mann weicht mir nicht mehr von der Seite. Dann entdecke ich etwas abseits des Marktes eine Hütte, die wie ein kleines Restaurang aussieht. Auf dem Weg dorthin wird mir klar, dass der Mann nicht vorhat sich abschütteln zu lassen. Seiner Meinung nach hat er mich auf das Restaurang hingewiesen und ich schulde ihm jetzt einen Gefallen. Als mir die Situation zu unheimlich wird, werde ich ungewöhnlich deutlich in meiner Wortwahl und sage ihm, dass ich alleine in das Restaurang gehen werde und nicht vorhabe ihm ein Essen zu bezahlen. Doch ein schlechtes Gewissen bleibt, da ich weiß wie wenig es mich kosten würde dem Mann seine vielleicht einzige warme Mahlzeit des Tages zu bezahlen.

Er lässt nicht locker. Als ich mich auf einen Plastikstuhl vor der Hütte setze, in der sich tatsächlich eine kleine Küche befindet, nimmt er nebem mir Platz. Inzwischen schwanken meine Emotionen zwischen Mitleid und Wut auf seine Aufdringlichkeit. Meine einzige Chance ist jetzt der Kellner. Ausdrücklich sage ich, dass ich den Mann nicht kenne und auch nur eine Portion bestellen möchte. Doch dann beginnt der Mann auf einer anderen Sprache mit dem Kellner zu diskutieren. Er scheint ihm zu erklären, dass er doch auch eine Portion verdient habe, da er mir geholfen habe hierher zu kommen. Noch einmal versichere ich dem Kellner, dass ich alleine hier bin und nicht bereit bin zwei Portionen zu bezahlen. Wieder redet der junge Mann daraufhin wild gestikulierend auf der Sprache, die ich nicht verstehe.

Wenig später stehen zwei Portionen Nsima (Maisbrei mit Spinat) vor uns. Der junge Mann versucht konstant mich in ein Gespräch zu verwickeln während er beginnt zu essen. Ich fühle mich hintergangen. Ein letztes Mal setze ich an, jetzt geht es mir um das Prinzip, ich gucke ihm direkt in die Augen und sage deutlich, dass ich nicht bereit bin sein Essen zu bezahlen. Der Mann hält inne, wird auf einmal ruhig und beginnt den Maisbrei hastig herunter zu schlucken. Jetzt scheint er verstanden zu haben, dass sein Spiel mit mir nicht funktionieren wird. Er wirkt nervös.

Natürlich schmeckt das Essen nicht. Die Situation überfordert mich und ich weiß weder was moralisch richtig ist noch welche Rolle die Kulturunterschiede in dieser Situation spielen. Als ich bezahlen will, startet der Mann einen letzten Versuch und will mich überzeugen, dass ein Gericht nicht 250 Kwacha sondern 500 Kwacha koste. Damit wäre seine Rechnung auch beglichen. 

Der Kellner guckt mich fragend an und tut als ob er immer noch nicht wisse, dass ich nur eine Portion bezahlen werde. Ich bezahle und gehe auf die Straße. "Warte auf mich", ruft der junge Mann und kommt mir hinterher. Der Kellner nimmt die Verfolgung des Mannes auf, bleibt aber einige Schritte hinter uns. Einge Meter gehen wir so schweigend über die dunkle Straße, die Situation ist angespannt. "Warte mal eben", sagt der Mann und bleibt an einem Baum stehen um seine Blase zu erleichtern.

Diese Situation nutze ich und verschwinde, ohne mich noch einmal umzugucken in einer Seitengasse. Bald bin ich in meinem kleinen Hostelzimmer. Ich habe es geschafft der Situation zu entfliehen. Ich bin stur geblieben und habe es vielleicht geschafft nicht auf den Trick eines Bettlers hereinzufallen. Vielleicht habe ich es aber auch geschafft gegen die ungeschriebenen Regeln der afrikanischen Kultur zu verstoßen. Vielleicht habe ich einen Gefallen entgegengenommen ohne mich dankbar zu zeigen. Vielleicht habe ich in dieser Kultur der Gegenseitigkeit und des Miteinanders einem jungen Mann vor den Kopf gestoßen. Ein ungutes Gefühl bleibt.

Das alles hätte ich vielleicht wieder vergessen, wenn da nicht die Situation am nächsten Morgen gewesen wäre. Ich habe meinen Rucksack geschultert und bin auf dem Weg zum Hafen, von wo aus ich die Ilala-Fähre nehmen möchte. In den frühen Morgenstunden ist viel los auf den staubigen Straßen des Ortes. Menschen mit frischen Waren in Schubkarren kommen mir entgegen, Kinder spielen mit Blechspiezeugen, Frauen tragen Eimer auf den Köpfen. 

Dann auf einmal kommt mir ein junger Mann entgegen. Bis auf eine Unterhose ist er völlig unbekleidet. Sein ganzer Körper ist mit einer staubigen Drecksschicht überzogen, als hätte er die Nacht auf dem bloßen Erdboden geschlafen. Für eine Sekunde treffen sich unsere Blicke im Vorbeigehen, scheu wendet der junge Mann den Blick ab und guckt auf den Boden. Er sieht aus wie der Mann vom Vorabend, nur wirkt er anders, leidend, gedemütigt.

Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Mir fällt es schwer die Menschen hier auseinander zu halten, meistens helfen Kleidungsstücke. Vielleicht ist es ein eine ganz andere Person, wahrscheinlich sogar. Was aber, wenn nicht? Was, wenn es der selbe junge Mann ist, den ich am Abend zuvor alleine auf der Straße zurückgelassen habe? Warum ist er unbekleidet? Wie ist die Diskussion mit dem Kellner ausgegangen? In meinen Gedanken spielen sich unschöne Szenarien ab. 

Und auch wenn ich falsch lag, wenn das alles nur ein Zufall war, wenn es zwei verschiedene Personen waren: Der kurze Blickkontakt hat sich eingeprägt, ich werde ihn wohl nie vergessen, den Blick in die Augen Afrikas. Des Afrikas, das nicht nur bunt und lebensfroh sein kann, sondern vor allem auch arm und ungerecht.

Wie im Himmel


Für meinen Geschmack viel zu lange war ich in Lichinga, einer Provinzhauptstadt im hohen Norden Mosambiks, stecken geblieben. Nach vielen Stunden Wartezeit hatte ich mein Einreisevisum dann doch bekommen und stand jetzt auf dem Marktplatz der Kleinstadt um eine Mitfahrgelegenheit zu finden. Auch wenn es schon früher Nachmittag war, wollte ich noch versuchen in das 300km entfernte Cuamba zu kommen. 

Ich habe Glück und nach einer Weile hält ein Auto neben mir, der Fahrer kurbelt das Fenster herunter und ruft mir etwas auf Portugiesisch zu. Wenige Zeit später sitze ich im klimagekühlten Auto auf dem Beifahrersitz und wir sind auf dem Weg aus der Stadt. In einer Polizeikontrolle werden wir angehalten und Viana, der Fahrer, flucht wohl wissend was auf ihn zukommt. Von dem Polizisten wird er dazu aufgefordert zwei der am Straßenrand wartenden Arbeiter mitzunehmen. Zu viert verlassen wir die Stadt. Kaum haben wir die Häuser hinter uns gelassen, bietet sich uns ein atemberaubendes Bild. Wir befinden uns am Rand des Lichinga-Plateaus, 1250 Meter über dem Meeresspiegel. Vor uns geht es bergab und wir sehen wie sich die braune Schotterpiste kilometerweit durch die leere Savanne schlängelt, hindurch zwischen Felsriesen die völlig unbewachsen sind und daher irgendwie fehl am Platz wirken. Ich habe das Gefühl nie zuvor eine solch beeindruckende Landschaft gesehen zu haben.

Viana parkt den Wagen mitten auf der Straße. "Wir beten besser, es ist ein langer Weg, vor Dunkelheit werden wir nicht ankommen." Gemeinsam stimmen die drei Männer ein Gebet an, dessen Wortlaut ich nicht verstehe. Dann geht es hinunter in die scheinbar leere Savanne. 

Doch immer wieder kommen wir durch kleine Siedlungen und überholen Frauen und Kinder die am Straßenrand Heubündel auf den Köpfen balancieren oder auf Fahrrädern unterwegs sind. Als die Abendsonne das Land dann auch noch in warme Farben taucht, befinden wir uns plötzlich mitten im Bilderbuch-Afrika. Nach einigen Stunden Fahrt machen wir Pause an einem kleinen Restaurang. Hier kauft Viana mehrere Dosen kühles Bier bevor er wieder in den Wagen steigt. "Damit wir nicht einschlafen", sagt er und drückt mir eine Dose in die Hand. Im Laufe der Fahrt wird er das restliche Bier trinken und und mit Vollgas über die ungeteerte Straße preschen. Zu diesem Zeitpunkt bin ich froh über die kleine Pause, die er anfangs zum Gebet eingelegt hatte.

Nach mehreren Stunden tauchen in der Dunkelheit, die sich inzwischen breit gemacht hat, Lichter auf. Wir kommen auf eine befestigte Straße und sind in Cuamba. Da ich noch keine Schlafmöglichkeit habe, nimmt mich Viana mit in ein Hotel. "Komm, ich lade dich zum Abendessen ein", sagt er. Als ich höflich ablehne winkt Viana ab und fügt hinzu: "Komm schon, Gott sieht es gerne wenn man Geld für Essen ausgibt."

Zwanzigzehn - Afrika in meinen Gedanken


Nach einem Jahr Studium in Schweden und einer großen Asienreise vor der Tür, sollte sich Afrika eigentlich schon längst mit seinem Platz in meinem Fotoalbum abgefunden haben. Doch das hat es nicht. Die Erinnerungen aus einem halben Jahr Namibia und dem restlichen Afrika rund um die Kalahari haben mich jetzt schon ein ganzes Jahr beschäftigt und mir fallen immer wieder Situationen ein, die ich eigentlich aufschreiben sollte. In den nächsten Tagen und Wochen werde ich daher eine kleine Serie von Geschichten hier veröffentlichen. Geschichten von Personen, Orten und Situationen, die ich weder vergessen kann noch will. Mein Traum von Afrika lebt weiter und es scheint als führe mich mein Weg unweigerlich auch wieder zurück in den weiten Süden - früher oder später.