Das vergessene Kolonialerbe


Wir wissen wenig über Afrika. Es ist ein fremder Kontinent, der für viele so fern wie uneinladend wirkt. Nur wenige von uns sind schon einmal dort gewesen und ebenso wenige haben vor in ihrem Leben auch nur einmal in die Breitengrade südlich der Sahara zu reisen. Doch eigentlich ist das verwunderlich. Noch keine zwanzig Jahre sind vergangen seitdem die letzte europäische Kolonialmacht unter internationalem Druck ihre Machtansprüche in Afrika aufgab. Und noch vor fünfzig Jahren war Afrika komplett in europäischer Hand. Großbritannien, Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, Belgien und auch Deutschland hatten den eroberten Kontinenten großzügig untereinander aufgeteilt. Wir Europäer waren überall. An der Macht, im Bildungssystem, in den Kirchen, an den Bodenschätzen und auf den wichtigen Handelsrouten. Doch heute wollen nichts mehr davon wissen. Auf einmal ist Afrika dritte Welt, von unserer ersten Welt also auf sicherem Abstand. Genauso schnell wie die Europäer im 19. Jahrhundert den afrikanischen Kontinenten überfielen, waren sie dann in den siebziger Jahren wieder weg.

Doch Spuren sind geblieben. Noch heute gibt es sie, die Weißen in Afrika. Mittlerweile leben sie hier mindestens in zweiter oder dritter Generation und sind somit, im Gegensatz zu ihren Vorfahren, zu Hause. In Südafrika, Namibia oder Zimbabwe leben sie als Großgrundbesitzer, leiten Familienbetriebe oder haben gut bezahlte Jobs in den Städten. Als ich durch Zimbabwe reise bin ich auf einmal mittendrin in dieser Welt.

Für ein paar Nächte bin ich bei Italiener Paolo und seiner Frau, deren Großeltern aus Großbritannien einwanderten. Ihr Haus ist ein typischer Kolonialbau, mehrstöckig mit Veranda und großem Garten (siehe hier). Am ersten Abend nehmen die beiden mich mit zu einer Feier zu der sie eingeladen sind. Mit Paolos knatterdem Ford fahren wir ans andere Ende der Stadt. Da es inzwischen dunkel ist haben wir eine große Taschenlampe dabei. Denn Abseits der Hauptstraßen funktioniert die Straßenbeleuchtung nicht und wir müssen die Häuserwände ableuchten um die richtige Hausnnummer zu finden.

Ein mit Schrotflinte bewaffneter Sicherheitsmann öffnet uns das Tor zum Haus der Familie, die wir besuchen. Wir parken das Auto neben dem Pool und werden von den Gastgebern empfangen. Die Runde der Gäste ist bunt gemischt - Briten, ein Inder, eine Ukraninierin, ein Halbdeutscher und eine Griechin. Es ist ein Abend, der wenig afrikanisch wirkt. Zu Essen gibt es Pizza aus Pappschachteln, der Inder erzählt von abenteuerlichen Flügen mit Air Zimbabwe, wo er als Pilot arbeitet und der Gastgeber führt stolz seine neue Stereoanlage vor. Er muss erklären, wo er diese bekommen hat, denn moderne Technik ist im wirtschaftlich maroden Zimbabwe ungewöhnlich.

Wir spielen Tabu, die englische Version mit Begriffen aus der britischen Geschichte, aus Film und Gesellschaft. Im Laufe des Abends unterhalte ich mich mit Andrew, der hier in Zimbabwe geboren wurde. Er erzählt davon, wie sich das Leben unter der Diktatur von Robert Mugabe innerhalb der letzten zehn Jahre verändert hat. Erst die große Inflation, dann der Zusammenbruch der Stromnetze und der Telefonverbindungen. Bis heute haben Supermärkte nur wenig Auswahl in den Regalen und alte Verkehrsnetze liegen still. "Aber man kann das alles auch positiv sehen", meint Andrew. "Auf einmal mussten wir lernen ohne Kühlschränke zu leben. Ohne Computer und ohne Telefon. Anstatt sich anzurufen, hat man angefangen sich wieder mehr zu besuchen. Stell dir eine Welt ohne Internet vor". Andrew kramt in seiner Hosentasche. "Hier, ich habe auch ein Handy. Aber nicht zum Telefonieren, ich benutze es als Kamera, denn in der Stadt ist es verboten Fotos zu machen."

Von diesem Verbot bemerke ich nichts, als ich am nächsten Tag mit meiner Kamera durch die Innenstadt Harares gehe. Doch die Vorsicht Andrews sowie der sonderbare Tabu-Abend im Villenviertel der Hauptstadt verdeutlichen das Verwürfnis zwischen der Regierung Zimbabwes und ihrer weißen Bevölkerung. Zur gleichen Zeit zu der ich in Harare bin kämpft ein weißer Farmer vor dem internationalen Gericht in Windhoek um sein Recht auf Landbesitz in Zimbabwe. Noch ein Jahr zuvor war er von Anhängern Mugabes auf seiner Farm überfallen worden und hatte den Angriff nur schwerverletzt überstanden. Es ist kein Einzelfall in der Gegenwart Zimbabwes. Viele der Weißen haben das Land verlassen. Das Land, das zwar ihre Vorfahren unrechtmäßig eingenommen hatten, in dem sie selbst aber aufgewachsen waren. Die, die geblieben sind, leben ihr eigenes Leben, in einer Randgesellschaft von Einwanderern, mit eigenen Netzwerken und in der Hoffnung auf besser Zeiten.

"Hat Andrew dir gestern von seiner Familie erzählt?", fragt Paolo am nächsten Morgen als wir auf seiner Veranda sitzen. "Er ist der Cousin von Chris Martin, du weißt schon, der Sänger von Coldplay. Noch letztes Jahr wollte Chris zusammen mit Gwyneth Paltrow hierher kommen um seine Familie zu besuchen. Letztendlich hat er die Reise wegen der politischen Situation abgesagt." Man kann ein wenig Stolz in Paolos Stimme erkennen, vor allem aber Verbitterung. "Tja, was soll man machen", fügt er resigniert hinzu und lässt seinen Blick über den Garten schweifen. Dann gibt er sich einen Ruck und steht auf: "Komm! Ich nehme dich mit zu einem Bekannten. Er hat ein Ersatzteil für meinen Ford besorgt."