Im Schatten der Sonne


Nicht alle meine Erinnerungen an die Reise durch Afrika sind positiv. Die meiste Zeit vermag ein bunter Mantel von Kultur, Lebensfreude und atemberaubender Natur die negativen Seiten der afrikanischen Realität für den Reisenden verbergen. Doch unausweichlich und oft unvermittelt holt einen die Realität ein, inbesondere abseits der vorgetreten Reiserouten.

Nach einem langen Tag und 250km Umweg auf der Suche nach einer Bank, bin ich in Monkey Bay am Malawisee. Den Rucksack in einem kleinen Hostelzimmer abgestellt, befinde ich mich auf dem örtlichen Markt um etwas zu Essen zu suchen. Dicht an dicht stehen hier die aus Holz gezimmerten Verkaufsstände, Menschen drängen sich durch die so entstandenen engen Gassen. Doch die Anzahl der unzähligen Stände spricht nicht gerade für Vielfalt. Wie auf den meisten Märkten Afrikas, finde ich auch hier nur drei Typen von Ständen. Die mit einer erstaunlichen Vielfalt an Kosmetikartikeln, die mit kleinen Werkzeugen und Vorhängeschlössern und die mit rohem Gemüse. Wenige bis gar keine der angebotenen Waren haben irgendeinen Nutzen für mich. 

Inzwischen ist es dunkel. Ein junger Mann hatte mich beobachten und kommt jetzt zu mir herüber. Ob ich ein Restaurang suche, fragt er und es ist unschwer zu erkennen, dass er betrunken ist. Von meinen bisherigen Erfahrungen weiß ich, dass es das beste ist sich jetzt nicht auf ein Gespräch einzulassen. Doch dafür ist es schon zu spät, der Mann weicht mir nicht mehr von der Seite. Dann entdecke ich etwas abseits des Marktes eine Hütte, die wie ein kleines Restaurang aussieht. Auf dem Weg dorthin wird mir klar, dass der Mann nicht vorhat sich abschütteln zu lassen. Seiner Meinung nach hat er mich auf das Restaurang hingewiesen und ich schulde ihm jetzt einen Gefallen. Als mir die Situation zu unheimlich wird, werde ich ungewöhnlich deutlich in meiner Wortwahl und sage ihm, dass ich alleine in das Restaurang gehen werde und nicht vorhabe ihm ein Essen zu bezahlen. Doch ein schlechtes Gewissen bleibt, da ich weiß wie wenig es mich kosten würde dem Mann seine vielleicht einzige warme Mahlzeit des Tages zu bezahlen.

Er lässt nicht locker. Als ich mich auf einen Plastikstuhl vor der Hütte setze, in der sich tatsächlich eine kleine Küche befindet, nimmt er nebem mir Platz. Inzwischen schwanken meine Emotionen zwischen Mitleid und Wut auf seine Aufdringlichkeit. Meine einzige Chance ist jetzt der Kellner. Ausdrücklich sage ich, dass ich den Mann nicht kenne und auch nur eine Portion bestellen möchte. Doch dann beginnt der Mann auf einer anderen Sprache mit dem Kellner zu diskutieren. Er scheint ihm zu erklären, dass er doch auch eine Portion verdient habe, da er mir geholfen habe hierher zu kommen. Noch einmal versichere ich dem Kellner, dass ich alleine hier bin und nicht bereit bin zwei Portionen zu bezahlen. Wieder redet der junge Mann daraufhin wild gestikulierend auf der Sprache, die ich nicht verstehe.

Wenig später stehen zwei Portionen Nsima (Maisbrei mit Spinat) vor uns. Der junge Mann versucht konstant mich in ein Gespräch zu verwickeln während er beginnt zu essen. Ich fühle mich hintergangen. Ein letztes Mal setze ich an, jetzt geht es mir um das Prinzip, ich gucke ihm direkt in die Augen und sage deutlich, dass ich nicht bereit bin sein Essen zu bezahlen. Der Mann hält inne, wird auf einmal ruhig und beginnt den Maisbrei hastig herunter zu schlucken. Jetzt scheint er verstanden zu haben, dass sein Spiel mit mir nicht funktionieren wird. Er wirkt nervös.

Natürlich schmeckt das Essen nicht. Die Situation überfordert mich und ich weiß weder was moralisch richtig ist noch welche Rolle die Kulturunterschiede in dieser Situation spielen. Als ich bezahlen will, startet der Mann einen letzten Versuch und will mich überzeugen, dass ein Gericht nicht 250 Kwacha sondern 500 Kwacha koste. Damit wäre seine Rechnung auch beglichen. 

Der Kellner guckt mich fragend an und tut als ob er immer noch nicht wisse, dass ich nur eine Portion bezahlen werde. Ich bezahle und gehe auf die Straße. "Warte auf mich", ruft der junge Mann und kommt mir hinterher. Der Kellner nimmt die Verfolgung des Mannes auf, bleibt aber einige Schritte hinter uns. Einge Meter gehen wir so schweigend über die dunkle Straße, die Situation ist angespannt. "Warte mal eben", sagt der Mann und bleibt an einem Baum stehen um seine Blase zu erleichtern.

Diese Situation nutze ich und verschwinde, ohne mich noch einmal umzugucken in einer Seitengasse. Bald bin ich in meinem kleinen Hostelzimmer. Ich habe es geschafft der Situation zu entfliehen. Ich bin stur geblieben und habe es vielleicht geschafft nicht auf den Trick eines Bettlers hereinzufallen. Vielleicht habe ich es aber auch geschafft gegen die ungeschriebenen Regeln der afrikanischen Kultur zu verstoßen. Vielleicht habe ich einen Gefallen entgegengenommen ohne mich dankbar zu zeigen. Vielleicht habe ich in dieser Kultur der Gegenseitigkeit und des Miteinanders einem jungen Mann vor den Kopf gestoßen. Ein ungutes Gefühl bleibt.

Das alles hätte ich vielleicht wieder vergessen, wenn da nicht die Situation am nächsten Morgen gewesen wäre. Ich habe meinen Rucksack geschultert und bin auf dem Weg zum Hafen, von wo aus ich die Ilala-Fähre nehmen möchte. In den frühen Morgenstunden ist viel los auf den staubigen Straßen des Ortes. Menschen mit frischen Waren in Schubkarren kommen mir entgegen, Kinder spielen mit Blechspiezeugen, Frauen tragen Eimer auf den Köpfen. 

Dann auf einmal kommt mir ein junger Mann entgegen. Bis auf eine Unterhose ist er völlig unbekleidet. Sein ganzer Körper ist mit einer staubigen Drecksschicht überzogen, als hätte er die Nacht auf dem bloßen Erdboden geschlafen. Für eine Sekunde treffen sich unsere Blicke im Vorbeigehen, scheu wendet der junge Mann den Blick ab und guckt auf den Boden. Er sieht aus wie der Mann vom Vorabend, nur wirkt er anders, leidend, gedemütigt.

Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Mir fällt es schwer die Menschen hier auseinander zu halten, meistens helfen Kleidungsstücke. Vielleicht ist es ein eine ganz andere Person, wahrscheinlich sogar. Was aber, wenn nicht? Was, wenn es der selbe junge Mann ist, den ich am Abend zuvor alleine auf der Straße zurückgelassen habe? Warum ist er unbekleidet? Wie ist die Diskussion mit dem Kellner ausgegangen? In meinen Gedanken spielen sich unschöne Szenarien ab. 

Und auch wenn ich falsch lag, wenn das alles nur ein Zufall war, wenn es zwei verschiedene Personen waren: Der kurze Blickkontakt hat sich eingeprägt, ich werde ihn wohl nie vergessen, den Blick in die Augen Afrikas. Des Afrikas, das nicht nur bunt und lebensfroh sein kann, sondern vor allem auch arm und ungerecht.