Entwicklungszusammenarbeit

Arbeit, die scheinbar längst überfällige Kategorie in meinem Afrika-Blog. Niemand von euch hat sich danach erkundigt, wie die Menschen hier in Namibia sind, wie das Essen schmeckt oder wie das Wetter ist. Wahrscheinlich, weil ich einfach davon erzählt habe. Stattdessen kamen unzählige Fragen nach meiner Arbeit (zwei oder drei). Stimmt, ich bin zum Arbeiten hier. Ohne das Praktikum wär ich wahrscheinlich nie in Namibia gelandet, ohne mein Praktikantengehalt wahrscheinlich sogar nie in Afrika.

6:30 Die Hunde fangen an zu bellen, mein Wecker klingelt. Neuerdings haben die Nachbarn eine Ziege, die anfängt zu meckern, wenn die Hunde bellen.

7:00 Die Sonne geht auf und scheint durch das Küchenfenster meiner Einzimmerwohnung. Vom Frühstückstisch aus sehe ich, wie die Vermieterfamilie das Haus verlässt. Ich habe es nicht weit und kann mir deswegen Zeit lassen. Durch das hügelige Windhoek West geht es zu Fuß ein paar Straßen stadteinwärts, es ist schon herrlich warm. Ich bin nicht der einzige, der um diese zu Fuß unterwegs ist. Aus allen Straßen kommen Studenten, viele sind schick angezogen und tragen Taschen oder Aktenordner unterm Arm. Nach nur 5 Minuten bin ich am GTZ Office.

8:00 Ich klingel am Eingangstor und Nande lässt mich herein. Die Sicherheitsvorkehrungen sind hoch. Das Gebäude hier ist eines der 92 Länderbüros der GTZ weltweit. Insgesamt über 12.000 Mitarbeiter arbeiten für die Gesellschaft technischer Zusammenarbeit. Eine Bezeichnung, hinter der man nicht gerade Entwicklungszusammenarbeit vermutet. Dabei ist die 1974 gegründete Gesellschaft Deutschlands größte Organisation in diesem Bereich. Die GTZ arbeitet zwar unabhängig, bekommt aber fast ausschließlich von der Bundesregierung ihre Aufträge.



Ich gehe um das Gebäude herum einige Treppenstufen hinunter. Helena und Christina sitzen schon an ihren Schreibtischen in unserem kleinen Eckbüro. An der Wand hängt eine riesige Landkarte Namibias. Die Karte zeigt viel freie Fläche und einige Städte, die sich vor allem auf den Westen und Norden des Landes konzentrieren. Sie zeigt ein Land, das wie schon erwähnt, ein Land voller Gegensätze ist. Dem relativ hohem Entwicklungsstandard stehen der Gini-Koeffizient von 0.6, die Arbeitslosigkeit von 36% und der Prozentsatz der Einwohner mit einem Tagesbudget von weniger als einem US$ (40%) gegenüber. Diese Zahlen sind Ausgangspunkt für die Aktivitäten unseres PEG-Teams (Partnership for Economic Growth – Zusammenarbeit für wirtschaftliches Wachstum). In Namibia hat die GTZ vielleicht 20 Mitarbeiter, die beratend in verschiedenen Projekten mit den lokalen Behörden zusammenarbeiten. Namibia ist erst seit 19 Jahren ein unabhängiger Staat, viele für uns selbstverständliche Abläufe und Prozesse sind hier völlig neu.

8:30 Ich setze einen Kaffee auf, bevor ich mich an die Recherche mache. Wie viele Unternehmen gibt es in Deutschland? In welchen Bereichen, wie groß sind sie, welche Produkte werden hergestellt? Ich habe keine Ahnung, doch auf irgendeinem Papier in Deutschland existieren diese Zahlen. Hier in Namibia nicht. Zur Zeit wird der erste große Zensus durchgeführt, eine Volkszählung für Unternehmen, bei der Statistiker von Unternehmen zu Unternehmen gehen und Interviews durchführen. Demnach wird bald zum ersten Mal eine Zahl veröffentlich werden können, man wird wissen wo in Namibia es welche Unternehmen gibt. Ein aufregender Fortschritt für lokale Wirtschaftler und Politiker. Doch was macht man mit diesen Daten, wenn man sie erst einmal hat? Diese Fragestellung wird mich vier Monate begleiten, vielleicht kann ich in einem abschließenden Bericht einige Antworten präsentieren.

10:30 Vor meinem Fenster steht ein Zitronenbaum, seit zwei Wochen sind die Früchte reif. Durch die Bürotür, die immer offen steht, blicke ich auf eine Palme. Es ist mal eine ganz andere Büroatmosphäre, eine sehr angenehme. In diesem Moment kommt Harald herein, mein Chef. Wir besprechen den Vorbereitungsbedarf für das diesjährige Wirtschaftsforums, auf dem internationale Sprecher Themen rund um die regionale Wirtschaftsentwicklung erörtern sollen. Bisher sind weder die Referenten gefunden noch die Teilnehmer eingeladen. Es fehlen noch das Logo für die Veranstaltung, die Finanzierung und auch die Presse muss irgendwann informiert werden. Ein zweiter großer Aufgabenbereich für mich.

13:00 Eine Stunde Mittagspause. In Windhoek gibt es viele gemütliche Restaurants und Cafès mit Innenhöfen oder Gärten. Die Preise erlauben es, fast jeden Tag Essen zu gehen. Aber auch das mitgebrachte Brot lässt sich im Schatten der Bäume neben dem Büro sehr gut geniessen.
14:00 Den Nachmittag widme ich meinem dritten großen Aufgabenbereich. Dem Budget der Städte. Wie viel Geld steht den Städten zur Verfügung, woher kommt es? Wofür wird es wieder ausgegeben? Auch für die Beantwortung dieser Fragen habe ich vier Monate Zeit und darf die Resultate abschließend präsentieren.

17:00 Um fünf Uhr muss ich mich beeilen, dass ich das Büro verlasse bevor der Haupteingang verriegelt wird. Zu Fuß gehe ich wieder zurück durch die hügeligen Straßen. Taxen fahren vorbei und hupen. Hinter mir liegt ein sehr angenehmer Arbeitstag. Die Atmosphäre im Büro ist locker und meine Aufgaben sind spannend. Ich lerne viel über das gesamte Land und kann sogar das Gefühl haben ein klein wenig zur Verbesserung der aktuellen Situation beizutragen.

Going wild

An diesem Wochenende haben wir uns in zwei Autos gezwaengt und sind nach Harnas gefahren - eine Auffangstation fuer verwaiste Tiere einige Stunden oestlich von Windoek. Ueber die einzige Strasse die ostwaerts fuehrt fuhren wir endlos geradeaus und mussten aufpassen wenn Warzenschweine, Strausse oder Paviane die Strasse ueberquerten.
Es war ein Wochenende voller Eindruecke. Gefallen hat mir nicht nur die Entdeckungsreise durch die afrikanische Tierwelt, sondern auch die tolle Atmosphaere in unserer Gruppe, die immerhin aus dreizehn Pratkikanten und Studenten bestand. Manchmal sagen Bilder mehr als Worte.



Camping


Grosses und kleines Erdmaennchen


Strauss





Keine Gefahr fuer die Antilopen, die Loewen leben vor ihrer Auswilderung in eingezaeunten Gehegen

Pavian auf Baum bei Sonnenuntergang


Eines unserer Autos mit Dachzelten



Abends am Lagerfeuer




Wasser

Denkt man an Afrika, hat man oft Bilder von unendlicher Hitze, staubigen Straßen oder durstigen Tieren an Wasserlöchern vor Augen. Doch in diesem Jahr hat es in Namibia so häufig geregnet, dass im Norden des Landes Tausende Einwohner evakuiert werden mussten. Die Bilder der Zeltlandschaften erwecken den Eindruck riesiger Flüchtlingslager. Zu viel Wasser überall, viele Familien verlieren ihre Ernte. Gleichzeitig ist irgendwo in der Steppe eine zentrale Wasserleitung geplatzt. Ganze Regionen müssen schon seit einigen Wochen ohne Wasser auskommen und auf die Lieferung von Tanklastwagen hoffen. In Windhoek lebe ich derweil wie unter einer Haube, im Schutz der Großstadt. Weder Überschwemmung noch Wasserknappheit können uns hier etwas anhaben.


Kleine Überschwemmung vor Windhoek



Babel

Im Moment telefoniere ich quer durch Namibia um mehr über die unterschiedlichen Projekte der Wirtschaftsförderung zu erfahren. Gar nicht mal so einfach, je ländlicher die Gegend, in der ich anrufe, desto schlechter das Englisch. Erst seit der Unabhängigkeit 1990 ist Englisch offizielle Landessprache und noch heute verständigen sich die Namibianer in 28 unterschiedlichen Sprachen. Oshivambo, Afrikaans, Deutsch, Herero, Otjiherero, RuKwangali, Bushmen, Nama, Tswana, SiLozi, Setswana, Khoekhoegowab, !Kung, Khoe....wer blickt denn da noch durch? In den ganz ländlichen Gegenden ist Englisch unbekannt. Seit zwei Tagen lerne ich Afrikaans. Eine interessante Sprache, die scheinbar wild aus Niederländisch und Englisch zusammengewürfelt wurde. Damit ist sie auch die einzige Sprache, die ich realistischerweise während meiner Zeit hier lernen kann. Zu schade, dabei hätte ich doch gerne die Sprache der Damara gelernt. Könnt ihr mit der Zunge schnalzen? Ein guter Anfang! Und jetzt dabei noch reden? Shivelas Versuch mir die verschiedenen Klicklaute beizubringen, die man während des Sprechens von sich geben muss, ist kläglich gescheitert. Immerhin schaffe ich drei (von bis zu 20). Das aber auch nur ohne dabei zu reden. Gebt einfach mal „KhoeKhoegowab Lesson“ oder „Good news Damara“ auf Youtube ein. Hier haben die Turmbauer von Babel auf jeden Fall ganze Arbeit geleistet.

Township Katutura – Ein Wochenende in Schwarz-Weiß

Windhoek kann ganz schön tot sein. Nicht so samstags. Ich nutze den einzigen Tag an dem ich vor Ladenschlusszeiten in die Stadt komme um mir die vielen kleinen und großen Geschäfte anzugucken. Die Innenstadt der Landeshauptstadt ist modern aber klein. Einige wenige Hochhäuser dominieren die Skyline, das Menschentreiben konzentriert sich im Wesentlichen auf die zwei großen Malls und eine kleine Fußgängerzone. Doch die beiden Malls trennen Welten. Besser gesagt, sie sind getrennte Welten. Beim Frühstück in der Maerua-Mall fällt uns auf, das sich hier fast ausschließlich Weiße aufhalten. Vielleicht einen Kilometer entfernt im Wernhill-Park hingegen lassen sich Europäer und Amerikaner an nahezu an zwei Händen abzählen. In den angrenzenden Straβen sitzen Einheimische und verkaufen Holzschnitzereien.


Samstags in Windhoek (Wernhill-Park)

Herero Frau in stammestypischer Kleidung



Bald ist St. Patrick’s Day. Der Tag macht auch vor der internationalen Studenten- und Praktikanten Community nicht halt. Samstag Nachmittag gibt es grünes Bier bei 30°C am Pool. Während nach und nach alle, ob angezogen oder nicht, im Wasser landen, rückt Afrika immer weiter in die Ferne. Laptop-Musik, kühle Getränke und die deutsche Sportschau im Fernsehen. Nur der Security-Guard, der mir abends das Tor des Hostels öffnet, erinnert daran, wo wir wirklich sind. Er verdient N$5, also 38ct, pro Stunde. Das reicht hier noch nicht einmal für eine kleine Flasche Wasser.



Im Gegensatz zum Samstag steht mein Sonntag ganz im Zeichen des schwarzen, und vielleicht wirklichen, Afrikas. Mit dem Taxi fahre ich in das nicht weit entferne Township Katutura - ein Stadtteil einst eigens dafür errichtet um die schwarze Bevölkerung aus der Innenstadt zu halten. Während es heute keine Grenzkontrollen zwischen Township und Innenstadt mehr gibt und einige Stadtviertel ethnisch vielfältiger sind, bleibt Katutura weiterhin Anlaufstelle für die Armen des Landes. Nach inoffiziellen Schätzungen leben heute bis zu 200.000 Menschen in Katutura, etwa so viele wie in allen anderen Stadtteilen zusammen.


Ich lasse mich am Soweto Market absetzen und bin überrascht. Entgegen meiner Vorstellungen stehen hier Häuser aus Beton und die Straßen sind gut ausgebaut. Doch mit jedem Meter, den ich zu Fuß gehe, wird die Nachbarschaft ärmer. Steinmauern werden durch Maschendraht ersetzt, dann durch Bleche. Aus Haustüren werden Vorhänge. Einheimische sitzen am Straßenrand unter Regenschirmen, vor ihnen meist ein umgedrehter Pappkarton auf denen sie Teigwaren, Kaugummi oder Chipstüten verkaufen. Überall sieht man ausgesonderte Autoteile, oder gar ganze Karosserien, die irgendwann einfach liegen gelassen wurden. Alte Autoreifen werden als Sitzgelegenheiten und Türen als Windschutz genutzt.


Auf einmal hört die Straße auf und geht in staubige hellbraune Erde über. Vor mir liegt das, was beschönigend Silver City genannt wird. Eine hügelige Landschaft aus silbernen Wellblechhütten. Alle dreihundert Meter komme ich an einem öffentlichen Wasserhahn vorbei.
Während in Windhoeks Innenstadt zu diesem Zeitpunkt fast niemand auf den Straßen zu sehen sein wird, spürt man hier in Katutura das Leben. Menschen sitzen am Wegesrand, vor ihren Hütten oder unter Bäumen. Aus vielen der Wellblechbehausungen kommt laute Musik, viele Frauen sitzen auf Plastikstühlen im Freien und lassen sich die Haare machen. Junge Männer nutzen den ruhigen Sonntag um ihre Taxen zu schrubben.


Ich scheine der einzige Weiße heute hier im Township zu sein. Die Reaktionen der Bewohner sind unterschiedlich. Leute bleiben stehen, gucken mir hinterher. Viele rufen, fragen wie es mir geht. Auf Englisch, Afrikaans oder Sprachen, die ich nicht verstehe. Einige Blicke wirken verständnislos, fast vorwurfsvoll. Manche Gruppen machen Witze und lachen, als ich vorbeigehe. Andere Blicke sind freundlich. Doch am meisten fasziniert haben mich die Kinder. Sie bleiben vor mir stehen, lachen mich unvoreingenommen freundlich an und fragen auf Englisch wie es mir geht oder wo ich herkomme. Irgendwann verlaufe ich mich zwischen den Hütten, weiß nicht mehr wo Weg und wo Vorgarten ist. Ich ernte den vorwurfsvollen Blick einer Frau, die gerade die Wäsche von einer Leine nimmt. Aber ich laufe auch einem Strassenkehrer in die Arme, der es sich zur Aufgabe gemacht hat die Kieselsteine zwischen den Huetten wieder gleichmaessig zu verteilen. Er haelt inne und strahl mich an. Ob ich irgendjemanden suche, fragt er laechelnd. Dass ich einfach nur so zu Fuss unterwegs bin, will er nicht richtig verstehen. Doch er winkt mir freundlich hinterher als ich weiter gehe. Dann durchquere ich ein ausgetrocknetes Flussbett und renne fast einen Mann, der hier im hohen Gras hockt. Mir wird bewusst, was es heißt in einer Hütte ohne Wasserleitungen zu wohnen. Einige der Hütten sind als Bars eingerichtet, es gibt selbstgebrautes Bier oder Windhoek Lager. Auf einem Hügel steht eine kleine Gospelkirche, sie ist so voll, dass die Besucher noch dicht gedrängt vor der Eingangstür und an den Fenstern stehen. Es ist das Afrika aus Bilderbüchern, auf eine gewisse Weise auch das Afrika, dass ich gesucht habe. Aber keineswegs das Afrika, das die einheimischen sich selbst wünschen. Katutura ist Herero und heißt übersetzt „der Ort, an dem wir nicht bleiben möchten“.

Vom Trampen, Bergzebras und Polizeikontrollen

Mein erstes richtiges Wochenende hier in Namibia nutze ich um rauszukommen aus Windhoek. Mein Ziel ist Daan Viljoen, ein verhältnismäßig kleiner Nationalpark nur 30 km außerhalb der Stadt. Ohne eigenes Auto ist man recht aufgeschmissen in Namibia. Züge fahren so gut wir nirgendwo, Busse nur zwischen wenigen Städten und an bestimmten Tagen und mit dem Fahrrad kommt man auch nicht weit. Also laufe ich zu Fuß los und stelle mich an den Straßenrand. Die erste halbe Stunde vergeht, die ersten fünfzig Autos fahren vorbei. Namibias Straßen sind nicht stark befahren. Nur einige Taxis hupen und wollen halten. Ist es möglich, dass man in diesem sonst so gastfreundlichen Land nicht trampen kann? Enttäuscht stecke ich mein Schild weg, das ich extra geschrieben hatte, halte aber noch einmal die Hand raus. Das dritte Auto hält. „Sorry, but I´m going another direction“. Anscheinend klappt es doch mit dem Trampen, aber ich bin der einzige, der heute zum Nationalpark möchte. Ich halte das nächste Taxi an. Ipinge bietet mir an mich für N$70, umgerechnet fünf Euro, die 30 Kilometer zu fahren. Ein guter Preis, ich steige ein. Er ist ein junger Taxifahrer, so wie alle hier in Windhoek. Kein Wunder, denn das namibische Durchschnittsalter liegt bei 21 Jahren. Ich selber gehöre also schon zu der älteren Bevölkerungshälfte. Wie so viele Menschen hier, kommt auch Ipinge aus dem Norden, immer mehr Menschen zieht es nach Windhoek. Eine große Stadt verspricht Arbeit, sei es auch nur die des Taxifahrers. Wenn es gut läuft verdiene er $350 am Tag, erzählt Ipinge – das sind €27. Immerhin, könnte man denken. Doch Ipinge fährt das Familienauto, seine Einkünfte sind die der Familie. Bevor wir die Stadt verlassen dreht er ab und fragt ob wir noch kurz an einem Geschäft vorbeifahren können. Er kauft schwarzes Klebeband um die Aufschrift seines Taxis zu verdecken – offiziell darf er die Stadt nicht mit dem Taxi verlassen. Am Park angekommen gibt er mir seine Nummer. Wenn er mich heute auch noch abholen kann, ist sein Tag mehr als gut gelaufen.

Für mich geht es zu Fuß weiter. Ein Weg führt durch ausgetrocknete Flussbetten und über einige Hügel des Khomas-Hochlandes. Ich habe mich gegen die 32-Kilometer und für die 9-Kilometer Tour entschieden. Schon vom ersten Hügel aus habe ich einen beeindruckenden Ausblick über unzählige weitere Hügel, die dieses Jahr außergewöhnlich grün sind. Nicht weit entfernt zieht eine gemischte Herde aus Gnus und Gemsen vorbei. Auf dem Hügel treffe ich auch einen Berliner Biologen von der Humboldt Universität. Er ist einer der Wenigen, die ich heute hier sehe, kein Wunder, dass ich keine Mitfahrgelegenheit gefunden hatte. Nur wenige Meter und einen Hügel weiter entdecke ich Zebras, Bergzebras wie mir der Biologe später erklärt. Es ist das erste Mal, dass ich diese Tiere in freier Wildbahn sehe. Sie heben achtsam den Kopf und sehen in meine Richtung. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich die langen dünnen Beine hinter der Herde – eine Giraffe, die ihren Oberkörper hinter einem Baum versteckt. Auf meinem Weg begegne ich noch weiteren Vierbeinern, Zweihörnen und Langhälsern – Wildkatzen gibt es hier zum Glück nicht, sonst könnte ich nicht zu Fuß unterwegs sein. Am Wasserloch am Ende des Weges warte ich vergeblich auf Tiere, es ist früher Nachmittag und wahrscheinlich noch zu warm. Auch der Biologe, den ich fragen wollte ob er mich mit zurück nimmt, taucht noch nicht wieder auf.


Bergzebras in Daan Viljoen
Giraffe in Daan Viljoen
Avis Dam - direkt ausserhalb der Stadtgrenze

Also rufe ich Ipinge an. Über seiner Taxi-Aufschrift klebt nun ein weißes Klebeband. Auf dem Rückweg haben wir weniger Glück mit der Polizeikontrolle. Ich werde gebeten meinen Ausweis vorzuzeigen, habe aber nur eine Kopie dabei. Der Beamte ist nicht zufrieden und wir müssen aussteigen. „This copy is not enough. I can´t let you go now. Get me the original one!“ Get me the original one? Wie denn? Das Original habe ich diebstahlsicher bei der GTZ weggeschlossen. Es folgt eine Diskussion zwischen dem Beamten und Ipinge auf Oshivambo. Ich beteuere noch einmal, dass ich legal hier bin und in Windhoek arbeite. Der Beamte sieht mich zögernd an, dann Ipinge, dann seine Kollegin. Wir können fahren. „He was waiting for money. You could have paid him“, sagt Ipinge im Auto. „But they are stupid, they didn´t go to school“, er lacht. Die Polizei in Namibia ist korrupt und bestechlich. Auf der Straße ersetzt ein 100-N$-Dollar Schein oder eine Flasche Alkohol gerne schon mal den fehlenden Ausweis. Aber als Ausländer sollte man vorsichtig sein. In diesem Fall hat es ein wenig gespielte Ratlosigkeit und die Anwesenheit meines namibischen Fahrers auch getan. Wir fahren durch Otjomuise, eines der armen Stadtviertel Windhoeks. Hier lebt die ausschließlich schwarze Bevölkerung in Blechhütten. Ipinge fragt mich, ob es auch in Deutschland arme Menschen gibt. Natürlich gibt es die, doch niemand wohnt in Blechhütten. Dann fragt Ipinge mich ob ich Lust habe noch eine Runde durch Katutura zu fahren: „Shall we check out Katutura?“ Katutura ist das Township im Norden der Stadt, hier stehen mehrere Tausend Blechhütten, täglich werden es mehr. Auch die Familie Ipinges wohnt dort. Ich denke an die teure Kamera, die ich dabei habe und an die unzähligen Warnungen der GTZler bezüglich der Sicherheit hier in Windhoek. Ich kann Ipinges Einladung nicht annehmen und weiß, dass ich einen schlechten Tausch gemacht habe: Der materielle Wert in meiner Tasche gegen eine unbezahlbare interkulturelle Erfahrung. Vielleicht ein anderes Mal - hoffentlich.

Sicherheit

Zip…zip…zip…Kein anderes Thema beschäftigt mich seit meiner Ankunft so sehr, wie die Sicherheit. Was läuft falsch in einer Stadt, in der die reicheren hohe Mauern um ihre Häuser bauen? Wenn man durch die Straßen geht, hört man das leise Ticken der Stromzäune, die zusätzlich oben auf den Mauern angebracht sind. Kläffende Hunde und Alarmanlagen runden das Bild ab. Vor einigen Häusern sitzt sogar Wachpersonal im Schatten der Bäume.

Wenn man durch die Straßen geht? Sollte man doch eigentlich gar nicht. Jedenfalls nie alleine und schon gar nicht im Dunkeln. Wenn man spät noch das Haus verlassen muss, dann höchstens im Taxi. Aber nicht irgendein Taxi, auf keinen Fall eines, in dem schon andere Personen sitzen. Am besten ruft man ein Call-Taxi, die sind 5 mal teurer, dafür aber sicher. Und Wertgegenstände? Niemals bei sich tragen, weder zu Fuß noch im Taxi. Das gilt für die gesamte Stadt.

Fast jeder, den ich treffe, hat eine passende Geschichte zu erzählen. Etwa die Dänin, die in ein falsches Taxi stieg, von diesem an ein falsches Stadtende gefahren und ohne Geld wieder auf die Straße gesetzt worden ist. Als sie den Fall der Polizei meldet, erfährt sie, dass es bereits eine lange Liste ähnlicher Vorfälle der letzten 12 Tage gibt. Sie steht an Stelle 577. Oder die beiden anderen Praktikantinnen, die in der Stadt unterwegs waren. Ein Auto hält an, zwei Männer springen heraus und entreißen ihnen ihre Taschen. Meinen letzten Glauben daran, dass man diese Situationen mit ein wenig Verstand umgehen kann, verliere ich als ich Shivelas Geschichte höre. Shivela, unser Fahrer und Büroassistent, ist Namibianer. Er ist groß und kräftig gebaut. Schon von meinem Vorpraktikanten hatte ich gehört, dass man mit Shivela auch mal Nachts nach Katutura kann um einen draufzumachen - Shivela passt auf. Vor zwei Wochen ist Shivela in seinem Haus überfallen worden. Die Eindringline bedrohten ihn mit einer Waffe, räumten sein Zimmer leer und forderten auch die Autoschlüssel. „So etwas überlebst du normalerweise nicht. Die gehen sicher, dass keine Zeugen zurückbleiben”. Seine Worte prägen sich ein.
Ich bin verunsichert, zum ersten Mal. Erinnerungen an Belize City kommen hoch. Damals hatten wir die Situation unterschätzt und waren froh nach einer Nacht wieder weg zu sein. Ich bleibe mindestens vier Monate hier. Die unzähligen Warnungen kommen an, ich glaube an die Horrorgeschichten. In den ersten Tagen gehe ich nur kurze Strecken. Schnell einkaufen oder den kurzen Weg zur Arbeit. Verunsichert drehe ich mich um, sobald ich Schritte hinter mir höre. Es dauert einige Tage bis ich begreife, dass dies die falsche Einstellung ist. Einmal sitze ich im Taxi. Ich schrecke zusammen als der Fahrer plötzlich hinter meinen Sitz greift. Er sucht nach einer Flasche Wasser. Spätestens in dieser Situation entwickle ich eine Wut. Eine Wut auf die unzähligen Warnungen und die Verunsicherung. Es verlang jetzt eine gewisse Ignoranz auch alleine durch die Stadt zu laufen oder nachts einfach in das nächstbeste Taxi zu steigen. Sicher. Doch Geld habe ich immer nur so viel dabei, wie ich gerade brauche und vom Ausweis trage ich nur eine Kopie bei mir. Wenn es sich vermeiden lässt, habe ich keinen Rucksack auf. Das Risiko besteht weiterhin, aber wenigstens kann ich auf diese Weise ohne Angst durch die Stadt laufen und den Menschen ohne Vorurteile begegnen. Daran arbeite ich zumindest. Und so höre ich weiterhin das Geräusch der Stromzäune…zip...zip…zip.

Ausblicke

Ich sitze auf meiner Caprivi-Terasse, und blicke über Windhoek. Die kleine schattige Sitzecke hinter meinem Häuschen, in die gerade zwei Klappstühle passen, habe ich auf Grund des Ausblickes so getauft. Wenn man nachts von hier aus auf die Stadt guckt, bilden die Lichter der Straßenlaternen eine Skizze, die dem nord-östlistlichsten Zipfel Namibias, Caprivi, erstaunlich ähnlich sieht (Bild).
Hinter der Stadt kann man die Schatten einiger Berge erkennen, Windhoek liegt im Hochland. Dahinter beginnt auch schon die große Weite.
Während in der überschaubaren Hauptstadt immerhin noch 270.000 Einwohner leben, teilen sich in Namibia statistische 2,3 Einwohner einen Quadratkilometer. Da es sich aber kaum zu zwei komma dritt auf so einer großen Fläche leben lässt, sind weite Teile des Landes unbewohnt. Namibia ist ein weit entwickeltes Land. 80% der Bevölkerung hat Zugang zu öffentlicher Bildung und mittlerweile gibt es fast flächendeckend Strom- und Wasserversorgung. Die Straßen sind gut ausgebaut und die Häuser in den Innenstädten modern. Die Moderne scheint nicht einmal die Tradition verdrängt zu haben. Irgendwo da hinten in der Ferne vermute ich ein kleines Dorf, so wie ich es mir in meinem ersten Beitrag ausgemalt habe. Ein Dorf der San oder der Damara etwa. Denn diese Dörfer gibt es wirklich.

Doch die Realität lässt sich an einer einzigen wirtschaftlichen Kennzahl verdeutlichen: Namibia hat einen Gini-Koeffizienten von 0,7. Diese unscheinbare Ziffer bedeutet nichts anderes, als dass nirgendwo (!) auf der Welt der Unterschied zwischen Arm und Reich so groß ist wie hier in der ehemaligen deutschen Kolonie. Es ist ein seltsames Gefühl darüber nachzudenken, dass mein eigenes Einkommen ein Vielfaches dessen ist, was der durchschnittliche Namibianer im Monat zur Verfügung hat. 120 Euro. Und das ist nur der Durchschnitt. Dreißig bis vierzig Prozent der Einwohner Namibias haben keine Arbeit. Fast zu erschreckend um es in Zahlen auszudrücken ist die gesundheitliche Situation. Etwa 21% der Bevölkerung ist an AIDS erkrankt (ja, das ist jeder fünfte Einwohner). Dank ausländischer Entwicklungshilfe und auch inländischer Bemühungen entwickelt sich Namibia weiter. Nicht zuletzt die medizinische Grundversorgung hat davon profitiert. Doch entgegen aller Erwartungen zeichnet sich heute ein Bild ab, das schlimmer ist denn je. 1980 lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Namibianer bei 58 Jahren. Heute werden Männer 42 Jahre alt, Frauen 38.

Ich bin letzten Samstag in einem Land der Gegensätze gelandet. Umgeben vom Traum eines jeden Abenteuer-Touristen und dennoch inmitten eines großen Alptraumes. Je nach Betrachtungsweise. Ich sitze noch auf meiner Terrasse, es ist dunkel und auf eine angenehme Temperatur abgekühlt. Fast ein halbes Jahr liegt noch vor mir, doch es fühlt sich an, als wär ich schon Ewigkeiten hier. Viele Themen gehen mir durch den Kopf. Reisen, Sicherheit, Arbeit. In den kommenden Tagen und Monaten werde ich davon berichten.
Kare nawa

Tag eins in Windhoek

Gerade habe ich die letzten Dinge aus dem Koffer gepackt - ich bin angekommen. Nur neun Stunden Flug und man ist da, jenseits des Äquators, an einem anderen Ende der Welt. Zum Glück bin ich nachts geflogen, denn ich hätte mich sehr darüber geärgert in der einzigen fensterlosen Reihe des Flugzeuges gesessen zu haben. Ein guter Ersatz für den fehlenden Ausblick war aber die deutsche Lehramtstudentin neben mir. Sie war auf dem Weg die Gemeinde zu besuchen, in der sie zuvor ein Jahr gelebt hatte. Die Berichte ihrer Erlebnisse waren spannend. Als ich sie nach einigen Stunden darum bat nicht nur Schreckensgeschichten von nächtlichen Überfällen oder Giftschlangen im Zimmer zu erzählen, musste sie grinsen. Das Glänzen in ihren Augen reichte als Antwort, es war als wollte sie sagen: Egal wie ungemütlich, unsicher und erschreckend die afrikanische Realität manchmal sein kann, die schönen Erinnerungen lassen dich nie wieder los. Und das sagte sie dann auch.
Shivela, mein neuer Kollege und GTZ-Fahrer, holte mich vom Flughafen ab. Auf der halbstündigen Fahrt vom Flughafen bekam ich einen ersten Eindruck der Landschaft Namibias. Endlose Weiten, nur einige kleine Hütten zwischen den unzähligen Büschen. Dank einer ungewöhnlich nassen Regenzeit ist alles sehr grün. In der Stadt angekommen suchen wir das Haus meiner neuen Vermieterfamilie. Straßennamen kennt hier niemand. Doch irgendwann finden wir das blaue Tor neben dem orangenen Haus am Ende der Straße. Vater M. begrüßt mich, es ist 8 Uhr Morgens, somit eine Stunde später als in Deutschland, denn in Namibia sind die Uhren noch auf Sommerzeit eingestellt.
M. und L. nehmen mich direkt mit in die Innenstadt, wo wir einen Kaffee trinken. Er ist Deutscher, kam aber schon als Kind nach Namibia, sie kommt aus Chicago. Kennen gelernt haben sie sich in Israel. M., die Tochter, steckt mitten in der Pubertät, Sohn C. mitten im Abistress. Auch nicht wegzudenken sind die vier Hunde, aufsteigend sortiert von „bellt, ist aber klein und harmlos“ bis hin zu „sieht nett aus, beißt aber jeden“. Eine verrückte Familie, die nächsten Monate darf in dem kleinen Häuschen wohnen, das bei ihnen im Garten steht.