Vom Trampen, Bergzebras und Polizeikontrollen

Mein erstes richtiges Wochenende hier in Namibia nutze ich um rauszukommen aus Windhoek. Mein Ziel ist Daan Viljoen, ein verhältnismäßig kleiner Nationalpark nur 30 km außerhalb der Stadt. Ohne eigenes Auto ist man recht aufgeschmissen in Namibia. Züge fahren so gut wir nirgendwo, Busse nur zwischen wenigen Städten und an bestimmten Tagen und mit dem Fahrrad kommt man auch nicht weit. Also laufe ich zu Fuß los und stelle mich an den Straßenrand. Die erste halbe Stunde vergeht, die ersten fünfzig Autos fahren vorbei. Namibias Straßen sind nicht stark befahren. Nur einige Taxis hupen und wollen halten. Ist es möglich, dass man in diesem sonst so gastfreundlichen Land nicht trampen kann? Enttäuscht stecke ich mein Schild weg, das ich extra geschrieben hatte, halte aber noch einmal die Hand raus. Das dritte Auto hält. „Sorry, but I´m going another direction“. Anscheinend klappt es doch mit dem Trampen, aber ich bin der einzige, der heute zum Nationalpark möchte. Ich halte das nächste Taxi an. Ipinge bietet mir an mich für N$70, umgerechnet fünf Euro, die 30 Kilometer zu fahren. Ein guter Preis, ich steige ein. Er ist ein junger Taxifahrer, so wie alle hier in Windhoek. Kein Wunder, denn das namibische Durchschnittsalter liegt bei 21 Jahren. Ich selber gehöre also schon zu der älteren Bevölkerungshälfte. Wie so viele Menschen hier, kommt auch Ipinge aus dem Norden, immer mehr Menschen zieht es nach Windhoek. Eine große Stadt verspricht Arbeit, sei es auch nur die des Taxifahrers. Wenn es gut läuft verdiene er $350 am Tag, erzählt Ipinge – das sind €27. Immerhin, könnte man denken. Doch Ipinge fährt das Familienauto, seine Einkünfte sind die der Familie. Bevor wir die Stadt verlassen dreht er ab und fragt ob wir noch kurz an einem Geschäft vorbeifahren können. Er kauft schwarzes Klebeband um die Aufschrift seines Taxis zu verdecken – offiziell darf er die Stadt nicht mit dem Taxi verlassen. Am Park angekommen gibt er mir seine Nummer. Wenn er mich heute auch noch abholen kann, ist sein Tag mehr als gut gelaufen.

Für mich geht es zu Fuß weiter. Ein Weg führt durch ausgetrocknete Flussbetten und über einige Hügel des Khomas-Hochlandes. Ich habe mich gegen die 32-Kilometer und für die 9-Kilometer Tour entschieden. Schon vom ersten Hügel aus habe ich einen beeindruckenden Ausblick über unzählige weitere Hügel, die dieses Jahr außergewöhnlich grün sind. Nicht weit entfernt zieht eine gemischte Herde aus Gnus und Gemsen vorbei. Auf dem Hügel treffe ich auch einen Berliner Biologen von der Humboldt Universität. Er ist einer der Wenigen, die ich heute hier sehe, kein Wunder, dass ich keine Mitfahrgelegenheit gefunden hatte. Nur wenige Meter und einen Hügel weiter entdecke ich Zebras, Bergzebras wie mir der Biologe später erklärt. Es ist das erste Mal, dass ich diese Tiere in freier Wildbahn sehe. Sie heben achtsam den Kopf und sehen in meine Richtung. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich die langen dünnen Beine hinter der Herde – eine Giraffe, die ihren Oberkörper hinter einem Baum versteckt. Auf meinem Weg begegne ich noch weiteren Vierbeinern, Zweihörnen und Langhälsern – Wildkatzen gibt es hier zum Glück nicht, sonst könnte ich nicht zu Fuß unterwegs sein. Am Wasserloch am Ende des Weges warte ich vergeblich auf Tiere, es ist früher Nachmittag und wahrscheinlich noch zu warm. Auch der Biologe, den ich fragen wollte ob er mich mit zurück nimmt, taucht noch nicht wieder auf.


Bergzebras in Daan Viljoen
Giraffe in Daan Viljoen
Avis Dam - direkt ausserhalb der Stadtgrenze

Also rufe ich Ipinge an. Über seiner Taxi-Aufschrift klebt nun ein weißes Klebeband. Auf dem Rückweg haben wir weniger Glück mit der Polizeikontrolle. Ich werde gebeten meinen Ausweis vorzuzeigen, habe aber nur eine Kopie dabei. Der Beamte ist nicht zufrieden und wir müssen aussteigen. „This copy is not enough. I can´t let you go now. Get me the original one!“ Get me the original one? Wie denn? Das Original habe ich diebstahlsicher bei der GTZ weggeschlossen. Es folgt eine Diskussion zwischen dem Beamten und Ipinge auf Oshivambo. Ich beteuere noch einmal, dass ich legal hier bin und in Windhoek arbeite. Der Beamte sieht mich zögernd an, dann Ipinge, dann seine Kollegin. Wir können fahren. „He was waiting for money. You could have paid him“, sagt Ipinge im Auto. „But they are stupid, they didn´t go to school“, er lacht. Die Polizei in Namibia ist korrupt und bestechlich. Auf der Straße ersetzt ein 100-N$-Dollar Schein oder eine Flasche Alkohol gerne schon mal den fehlenden Ausweis. Aber als Ausländer sollte man vorsichtig sein. In diesem Fall hat es ein wenig gespielte Ratlosigkeit und die Anwesenheit meines namibischen Fahrers auch getan. Wir fahren durch Otjomuise, eines der armen Stadtviertel Windhoeks. Hier lebt die ausschließlich schwarze Bevölkerung in Blechhütten. Ipinge fragt mich, ob es auch in Deutschland arme Menschen gibt. Natürlich gibt es die, doch niemand wohnt in Blechhütten. Dann fragt Ipinge mich ob ich Lust habe noch eine Runde durch Katutura zu fahren: „Shall we check out Katutura?“ Katutura ist das Township im Norden der Stadt, hier stehen mehrere Tausend Blechhütten, täglich werden es mehr. Auch die Familie Ipinges wohnt dort. Ich denke an die teure Kamera, die ich dabei habe und an die unzähligen Warnungen der GTZler bezüglich der Sicherheit hier in Windhoek. Ich kann Ipinges Einladung nicht annehmen und weiß, dass ich einen schlechten Tausch gemacht habe: Der materielle Wert in meiner Tasche gegen eine unbezahlbare interkulturelle Erfahrung. Vielleicht ein anderes Mal - hoffentlich.