Besuch bei den Himba


Auf meinem Schreibtisch in Deutschland liegt ein großer Miserior-Kalender. Das aufgeschlagene Kalenderblatt zeigt zwei kleine Kinder mit rötlicher Hautfarbe inmitten einer Ziegenherde - „Himbamädchen in Namibia“. Der Kalender verbildlicht in vielen Belangen meinen Traum von Afrika. Den von einem vergessenen Kontinenten und unberührten Kulturen. Jetzt bin ich den Himba wirklich begegnet.

Der Blick in die Augen des Mädchens auf dem obigen Foto verrät annähernd die Spannung, die diese Begegnung für mich mit sich brachte. Es war die mit Abstand beeindruckendste und zugleich schwierigste kulturelle Erfahrung, die ich bisher machen durfte. Nur durch die Hilfe Halows, der uns einen Tag lang begleitet, schafften wir es einen Einblick in eine der ältesten Kulturen Namibias zu gewinnen.



Zurückgedrängt durch Kriege und beinahe vernichtet durch große Trockenheiten, leben die rund 5000 Himba heute in Nordwesten des Landes, dem Kaokoveld. Es ist ein Landstreifen, der nicht annährend mit Strom, Wasser und Straßen erschlossen ist. Unser Besuch gleicht einer kleinen Expedition.

Vielleicht war es den Himba gerade deswegen möglich, ihre Kultur der Globalisierung zum Trotz beinahe unverändert beizubehalten. „Das Leben ist immer noch das Gleiche, aber die Kinder können lesen und schreiben“, hört man eine alte Himbafrau sagen.

„Genau hier, bieg rechts ab“, Hallow zeigt auf einen schmalen, zwischen Büschen versteckten Pfad. Das dichte Geäst, das gegen unseren Wagen schlägt, deutet darauf hin, dass auf diesem Weg schon lange kein Auto mehr gefahren ist. Eine ganze Weile fahren wir buscheinwärts, weit weg von jeder größeren Ansiedlung. Schließlich signalisiert Halow, dass wir anhalten sollen. Zwischen den Büschen meint er ein kleines Dorf erkannt zu haben. Doch nur die grasfreien Flächen auf dem Boden deuten darauf hin, dass sich hier einmal Menschen gewohnt haben. Himba sind nomadische Viehzüchter, Jäger und Sammler. Angewiesen auf das knappe Gut Wasser, siedeln sie an immer wieder neuen Stellen.
Erst als wir noch einige Minuten weiter buscheinwärts fahren haben wir Glück. Versteckt zwischen den Büschen liegt eines der kreisrunden Himbadörfer. Die kleinen hügelförmigen Hütten umgibt ein aus Ästen errichteter Zaun. Doch das Dorf scheint verlassen. Einzig die herumlaufenden Ziegen zeigen, dass hier noch ein kleiner Himbastamm wohnt. Wir kehren um, ohne auf die Bewohner getroffen zu sein. Es schein unglaublich, dass die Himba hier, fernab jeder größeren Siedlung, überhaupt überleben können.

Einige abenteuerliche Autostunden später finden wir uns in einer belebteren Gegend wieder. Hier besuchen wir ein Himbadorf, das unweit der befahrbaren Schotterpiste errichtet ist. Als Gastgeschenk tragen wir mehrere Packungen Mehl und Zucker bei uns. Rohstoffe, die von größerem Wert sind als Geld.

Halow läuft vor und begrüßt die Dorfbewohner auf einer Sprache, von der wir kein Wort verstehen. Einladend lächeln die Himba uns an, als wir nachkommen. Wir wollen es mit Zeichensprache versuchen und winken zur Begrüßung. Doch die Reaktion ist anders als erwartet. Niemand winkt zurück, einige Himbakinder bleiben verunsichert stehen als hätten wir ihnen eine warnende „Halt-Stopp“-Hand entgegengehalten. Wir merken, dass an Kommunikation noch nicht einmal mit Gestik zu denken ist. Ohne den englischsprachigen Halow wäre es ein sehr kurzer Besuch geworden.


Als wir den Himba gegenueberstehen, kommen wir uns vor wie in einer anderen Welt. Sowohl Himbamänner als auch –frauen tragen keine Oberkörperbekleidung. Stattdessen wird eine aus zerriebenen Steinen und Tierfett gemischte Ockerfarbe als Sonnenschutz auf die Haut aufgetragen. Um die Lende tragen die Himba braune Stoffe und Tierleder. Die größte Bedeutung wird den Frisuren zugemessen. Junge Mädchen tragen zwei geflochtene Zöpfe über der Stirn - wenn sie mit 12 bis 14 Jahren das heiratsfähige Alter erreichen, lassen sie sich schulterlange Zöpfe wachsen, die mit der roten Ockerfarbe eingerieben werden (Foto). Dicke Schmuckringe am Hals unterscheiden jungfräulichen Frauen von den Müttern. Männer tragen Zöpfe auf dem Hinterkopf.



Wir sehen nur wenige Männer. Die meiste Zeit sind sie als Hirten mit Rinderherden unterwegs, oder sichten auf mehrtätigen Wanderungen Orte für die Umsiedlung des Dorfes. Die Frauen hingegen bleiben zu Hause. Sie versorgen die Kinder, bereiten Nahrung aus Maismehl und Ziegenmilch oder basteln die kulturell wichtigen Schmuckstücke. Zählen können die Himba nicht. Sie wissen weder, wie viele Menschen in ihrem Dorf leben, noch ihr genaues Alter.




Eine der älteren im Dorf lädt uns in eine der aus Dung gebauten Hütten ein. Im Inneren ist es stickig und warm. Das auf dem Boden ausgebreitete Rinderleder stellt ein Doppelbett dar. Die Frau nimmt eine Schale und entzündet darin eine Mischung aus trockenen Kräutern. Anschließend hebt sie ihren Rock an und kniet sich über die rauchende Masse - verschämt muss sie dabei lachen. Dass Ritual stellt den Waschvorgang der Himbafrauen dar. Der am Körper hinaufsteigende Rauch soll diesen von Keimen und Schmutz befreien. Himbafrauen ist es nicht erlaubt mit Wasser in Berührung zu kommen.

Zwischen der Hütte des Dorfoberhauptes und dem zentralen Kälberkral brennt das heilige Feuer Okuruwo. Es dient als Verbindung zu den Geistern der Verstorbenen und darf niemals erlöschen. Immer wieder treten die Dorfbewohner am Feuer mit ihren Ahnen in Verbindung. Diese vertreten den Gott Mukuru und bieten Unterstützung bei wichtigen Entscheidungen.

Ein kleines Mädchen milkt eine Ziege, in einer Hütte mahlt eine Frau Mais zwischen zwei Steinen zu Mehl. Die Himba leben von Milch und Maismehl. Manchmal wird eine Ziege geschlachtet, entweder als Opfergabe oder für eine reichere Mahlzeit. In selten Fällen auch eine Kuh.



Als ich das Foto einer Himbafrau mache, merkt diese, dass sie so ihre eigene Frisur sehen kann. Vielleicht zum ersten Mal - im Himbadorf gibt es keine Spiegel. Jetzt wollen auch einige andere Frauen Nahaufnahmen von ihrem Hinterkopf. Sie sind begeistert von den Bildern und sichtlich stolz auf ihre traditionellen Frisuren.
Dann werden sie neugierig. Sie wollen wissen wissen wo wir herkommen und woher wir uns kennen. Ich werde gefragt, wo meine Frau wohne und ob ich Kinder habe. Auf meine Antwort folgt Unverständnis. Eine der erwachsenen Frauen zeigt auf ein jüngeres Mädchen und fragt ob ich sie heiraten möchte. Doch auch die Himba müssen über dieses spontane Angebot lachen.



Abends fahren wir weiter in Richtung der Epupa Wasserfälle an der Grenze zu Angola. Halow bleibt in einem kleinen Dorf, das auf der Strecke liegt. Er bittet uns einen jungen Himba mitzunehmen, der in dieselbe Richtung unterwegs ist. Inzwischen ist es dunkel. Mehrmals auf der Fahrt fängt der Mann an zu gestikulieren, irgendetwas sagt er auf Himba. Doch wir verstehen weder Worte noch Gestik. Er gibt auf und lässt sich zurück in seinen Sitz sinken.
Als vor uns auf der Straße eine Rinderherde auftaucht, springt der junge Himba aus dem Wagen. Zunächst denken wir, er wollte die Herde von der Straße vertreiben. Stattdessen treibt er sie vor uns her. Wir steigen aus, um ihn zu fragen, was er vorhat. Wieder scheitern wir an der Sprachbarriere. Nach etlichen Verständigungsversuchen müssen wir aufgeben. Wir legen uns darauf fest, dass der Himba nicht zurück ins Auto kommen möchte und stattdessen bei der Herde bleibt. Vielleicht ist es seine.

Es war ein Tag, den ich nicht mehr vergessen werde. Nie hätte ich wirklich daran geglaubt, dass es inmitten eines modernen Landes wie Namibia noch so fremde Kulturen gibt. Nie hätte ich daran geglaubt, dass ich dem einmal so nah kommen würde. Bis heute – bis zu meinem Besuch bei den Hirten und Nomaden Namibias, den Himba.