Lokale Wirtschaftsförderung

Vierzig Stunden die Woche sitze ich im GTZ-Büro, das schon seit vier Monaten. Wenn ich selten darüber schreibe, dann nicht weil ich Freizeit Freizeit lassen will. Nie zuvor hat mir ein Job so gut gefallen, wie der hier in Namibia. Nie zuvor war es so einfach morgens aus dem Bett zu kommen, nie zuvor so schwer um Punkt fünf das Buero zu verlassen. Doch es ist schon die letzte Woche.

So spannend jeder einzelne Tag zwischen Städtebudget, Unternehmenszensus und lokaler Wirtschaftsförderung auch gewesen ist, ein klares Highlight war die Geschäftsreise der letzten Woche. Es ging in den Norden Namibias, an die Grenze zu Angola. In die Gebiete, die nicht entwickelt sind, hinter den Horizont der für das Land wichtigen Pauschaltouristen.
Zusammen mit Harald, meinem Chef, Eckart, einem Consultant und Fritz, unserem namibianischen Fahrer, sitze ich im Auto. Unterstützt von der GTZ werden in Eeenhana sowie in Helao Nafidi PPDs durchgeführt. Public Privat Dialogues – der Versuch Stadtverwaltung und lokale Unternehmer an einen Tisch zu bringen.

Nach achtstündiger Autofahrt kommen wir übermüdet und hungrig an. Durch diese Bedingungen verstärkt bekomme ich zu spüren was es heißt in Namibia Politik zu machen. Die für die Begrüßungsrede eingeladene Bürgermeisterin Eenhanas lässt sich Zeit. Erst 90 Minuten nach offiziellem Beginn der Veranstaltung taucht sie auf. „Es ist eine Frage des Respekts“, erklärt Eckart. „Wer zu spät kommt wirkt wichtig und wird respektiert“. Der Rest der Veranstaltung verläuft relativ gut. Unternehmer tragen Anliegen vor, der Stadtrat reagiert. Nach vier Stunden beendet Eckart, der als Vermittler agiert, die Diskussionen. Es war ein erfolgreiches erstes Treffen und es ist klar, dass seitens der Unternehmer noch Redebedarf besteht, der viele weitere füllen könnte.

Spannender noch wird es am nächsten Tag in Helao Nafidi. Dieses Mal ist es der Vorstand der nationalen Industrie- und Handelskammer, der sich Zeit lässt. Zwar hatte er beim Mittagessen noch neben uns gesessen, doch zu Beginn des PPDs taucht er nicht auf. „Ich bin jetzt unterwegs“, sagt Tara, als wir ihn anrufen. Dieselbe Antwort auch eine halbe Stunde später, der Weg vom Restaurant bis zum Veranstaltungsort ist gerade einmal 2 Kilometer lang. Dann endlich steht er in der Tür, begleitet von zwei auffällig modisch gekleideten Assistentinnen. Ein ausdrucksstarkes Bild.
Die Gespräche heute finden in einem Gästehaus auf dem Grundstück der alten Namundjebo Farm statt. Der große Saal wirkt bedingt durch sein Strohdach ein wenig wie eine Scheune. Es ist dunkel im Inneren, quietschend drehen sich die Ventilatoren hoch oben an der Decke. Wieder sind zahlreiche Unternehmer gekommen. Neben den vielen Kleinstunternehmern sind heute auch ausländische Vertreter anwesend. Ein stämmiger Libanese sitzt schräg vor mir, ihm gehört faktisch die halbe Grenzstadt Oshikango, wie ich später erfahre. Von den Chinesen, die inzwischen in ganz Afrika Geschäfte aufbauen, ist niemand gekommen. Während ihre großen Fabrik- und Lagerhallen die kleinen Städte dominieren, halten sie sich selbst im Hintergrund - Non-Interference, die Nicht-Einmischungspolitik.

Schon kurz nach Beginn ist am heutigen Abend klar, dass die vier Stunden nicht reichen werden um alle Fragen zu beantworten. Fast alle Diskussionen drehen sich um die Landreform. Wer hat das Recht auf welches Stück Land? Es ist die Frage, die in Afrikas jüngster Geschichte mehr als einen Staat zerrissen und in den Bürgerkrieg geführt hat. Doch hat Namibia, als eines der weiter entwickelten Länder Afrikas, nicht schon längst die passende Antwort auf das Problem gefunden? Ich erinnere mich an die Worte Eckarts: „Es ist eine Zeitbombe.“

Mit der Unabhängigkeit Namibias wurde beschlossen eine Umverteilung des Landes vorzunehmen. Aus den Händen der Weißen, die im Zuge der Kolonialisierung unrechtmäßig weite Teile des Landes in Anspruch nahmen, sollte es wieder zurück an die Schwarzen gehen. An den kleinen Mann, Familien, Subsistenzfarmer. Zimbabwe diente diesbezüglich als Vorbild, doch werden Weiße in Namibia nicht gewaltsam vertrieben, sondern ausgezahlt. Der Staat kauft Land auf und gibt es an die Einwohner weiter. Doch an dieser Stelle taucht unweigerlich eine Parallele zu Zimbabwe auf. Die großen, zuvor durch Weiße betriebenen, Farmen sind jetzt in der Hand von Einheimischen unerfahrenen Bauern. Ihnen fehlen Bildung und Resourcen, viele Farmen verkommen, Ernten reduzieren sich auf ein Minimum. Ein Rückschlag für die Wirtschaft des Landes zu Gunsten der ethnischen Gerechtigkeit.

Wie kann Landbesitz überhaupt zu einem Problem werden in einem Staat der die doppelte Größe Deutschlands besitzt aber nur 2 Millionen Einwohner beherbergt? Es geht um die Städte. Zuvor von traditionellen Regierungen regulierte Gebiete werden auf einmal zu Städten erklärt und deren Stadtgrenzen scheinbar willkürlich gezogen. Auf einmal befinden sich Farmer in der Stadtmitte wieder, das Recht auf ihr Land verlieren sie damit an den Staat. Sie sollen umsiedeln, bekommen aber eine Entschädigung. 80.000 namibische Dollar, das sind ca. 6.500 Euro. Vielleicht ein fairer Preis, doch schon am nächsten Tag verkauft die Stadt dasselbe Grundstück für 1.5 Millionen N$ an einen der Schlange stehenden Unternehmer. Die Landbesitzer wissen das, unweigerlich entsteht so eine Schattenwirtschaft. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn unter den Schatten der Bäume am Straßenrand verhandeln Farmer und Investor nun direkt, die Stadtverwaltung bleibt außen vor. So gehen der Stadt schnell die zu verkaufenden Grundstücke aus, ehrliche Kleinunternehmer haben keine Chance.

Heute Abend stehen sie auf. Schon bald bemüht sich niemand mehr Englisch zu reden, auf Oshivambo koennen sie ihren Ärger besser ausdrücken. Eckart, der beide Sprachen beherrscht, muss mit vollem Einsatz zwischen den Parteien vermitteln. Ein Kompromiss wäre die Lösung, Unternehmer und Stadt sollten sich zusammentun und gemeinsam einen fairen Preis an die Landbesitzer zahlen. Doch die Vertreter der Stadt bleiben stur. Ihnen seien die Hände gebunden, alles sei auf nationale Gesetzgebung zurückzuführen.

„Nationale Gesetzgebung“, Eckart und Harald lachen vielwissend, als wir spaeter mit einem Bier im Garten einer Kneipe sitzen. „Die Korruption ist der Grund. Sobald die Abwicklung der Landreform nicht mehr allein über die Stadtverwaltung läuft, können sie nicht mehr abkassieren. Niemand hat Interesse daran etwas an der jetzigen Situation zu ändern. Sie stecken alle mit drin.“

Einzig der finanzstarke Libanese hatte den Mut diese Wahrheit auszusprechen. Als er gefragt wurde, was seiner Meinung nach der Grund für die aktuelle Situation sei, antwortet er: „Schlechtes Management. Ich bin seit 22 Jahren hier, nichts hat sich geändert. Hoffnungslos. Man sollte sie alle entlassen. Ein neues Management.“ Der Stadtrat schweigt. Erst als Harald aufsteht und anbietet, dass die GTZ einen unabhängigen Berater in die Region schickt, der nach möglichen Lösungen sucht, kommt die Diskussion zu einem Ende.

In der Menge sitzt ein unauffälliger alter Mann mit weißem Bart. Er beteiligt sich nicht am Dialog, doch er beobachtet. „Der Spion der SWAPO“, erklärt Eckart später. „Der hat ganz genau beobachtet, wer sich wie geäußert hat.“ Namibia ist ein ein-parteien-Staat. Aus der Unabhängigkeitsbewegung hat sich die SWAPO entwickelt, die das Land heute regiert. Es gibt andere Parteien, doch ist ein SWAPO Wahlsieg mit 99% der Wählerstimmen keine Seltenheit. Erst vor einigen Wochen hat ein führender Minister der SWAPO dazu aufgerufen Andersdenkende auszugrenzen. Wähler der Opposition sollen gemieden und in ihren Geschäften nicht eingekauft werden. Eine Aussage, die allzu deutlich an die Deutsche Geschichte erinnert. Man hört die Zeitbombe ticken.

Der stellvertretende Bürgermeister beendet an diesem Abend den Public Privat Dialoge. Offensichtlich spricht er kaum Englisch. Wort für Wort muss er die für ihn vorbereitete Rede vom Papier ablesen. Ich sitze im Publikum und komme mir vor wie in der zweiten Klasse Sprachunterricht. Doch dies ist Politik in Afrika und genau aus diesem Grund ist sie so spannend, die Arbeit bei der GTZ. Es muss von ganz vorne angefangen werden. Der stellvertretende Bürgermeister weiß um seine Vorbildfunktion, er spricht Englisch und nicht auf Oshivambo.