Entfernungen


Es ist ein Land, in dem 1500 Kilometer zwischen der nördlichsten und der südlichsten Stadt liegen. Ob die 800 Kilometer in den Süden oder die 700 Kilometer an die angolanische Grenze in den Norden: Tagesstrecken - Entfernungen haben eine andere Bedeutung.

Autobahnen gibt es nicht, Landstraßen sind mit Schlaglöchern gespickt und die weit verbreiteten Schotterpisten sind oft von ausgetrockneten Flussläufen unterbrochen.
Auf unseren Wegen überholen wir Eselskarren, viele Menschen sind zu Fuß unterwegs.

Der Weg ist das Ziel, heißt es. Hier in Namibia ist er das im wahrsten Sinne des Wortes. Unterwegs erst stößt man auf die weit verstreut lebenden Menschen, man kann beobachten wie sich Landschaft und Klima im Minutentakt ändern, Straßenwarnschilder zeigen Warzenschweine oder Elefanten.



Immer wieder sieht man Menschen im Gras neben der Straße laufen. Meist barfuß und ohne Gepäck. Irgendwo versteckt hinter den Büschen muss es kleine Siedlungen geben. Die Menschen haben Zeit und Geduld um von einem Ort zum nächsten zu kommen. Manchmal stehen sie auch unter Straßenschildern oder Bäumen und warten darauf mitgenommen zu werden.

Je ländlicher die Gegend, desto ungewöhnlicher muss es für die Einwohner sein, dass Autos vorbeifahren. Immer wieder kommen Kinder aus den kleinen Siedlungen gelaufen. Sie kennen den kurvigen Verlauf der Straßen, wissen in welche Richtung sie laufen müssen um die passierenden Autos abzufangen. Von den wohlhabenden Touristen, die in diese abgelegenen Gegenden kommen, erhoffen sie sich ein wenig Geld oder Nahrungsmittel.





Noch lange nicht sind die Strecken vorbereitet auf den einzelnen Reisenden. Als wir vor zwei Wochen auf dem Weg in den Süden waren, kommen wir in die Kleinstadt Mariental. Die Tanknadel unseres Wagens steht mittig. Vorsichtshalber werfen wir noch einen Blick auf die Karte. „Kein Problem, bis nach Keetmanshoop müssten wir es eigentlich schaffen. Auf dem Weg liegen außerdem noch zwei weitere Tankstellen.“ Laut Karte. Eine Stunde später nähert sich die Tankfüllung dem Nullpunkt. Wir steuern den kleinen Ort an, in dem die nächste Tankstelle eingezeichnet ist. Geschlossen. Es gibt kein Benzin mehr, die Versorgung per Tanklaster ist längst überfällig.
Wir müssen lange suchen, bis wir die zweite auf der Karte eingezeichnete Tankstelle in einem weiteren kleinen Ort finden. Zwei Zapfsäulen stehen verlassen dar, es sieht nicht so aus, als ob hier in letzter Zeit Benzin verkauft worden sei. Wir fragen eine Frau, die uns beobachtet hatte. Es sei Wasser in die Benzintanks gekommen, man müsse jetzt darauf warten, dass Shell den Reparaturdienst schicke.


Wir stehen mitten in der Steppe, in einem kleinen Ort ohne funktionierende Tankstelle, die Tanknadel ist endgültig bei Null angekommen. Da es in dem Ort kaum Autos gibt, haben wir keine große Hoffnung jemanden mit vollen Benzinkanistern zu finden. Unsere Rettung ist schließlich ein Mann aus Windhoek, der hier heute Verwandte besucht. Mit einer alten Plastikflasche zapft er Benzin aus dem Schlauch seines Wagens ab. Fünf Flaschenfüllungen später haben wir wieder genug im Tank um es bis zur nächsten Stadt zu schaffen.

Unsere erste Reifenpanne haben wir an der Skeleton Coast, dem wahrscheinlich unfreundlichsten Landstreifen des Landes. „Die Hölle Namibias“ mach gut ein Drittel der gesamten Küstenstrecke aus. Wir kommen an ein Eingangstor uns müssen unser Auto registrieren bevor wir den unbewohnten Landstreifen befahren dürfen. Während wir noch am Morgen durch die pralle Sonne zwischen Giraffen und Springböcken gefahren sind, ziehen jetzt dichte Nebelschwaden auf, es wird dunkel und bitterkalt. Entlang der Küste liegen mehrere Wracks von Lastschiffen, die hier auf Grund gelaufen sind. Zu allem Überfluss finden wir Knochen und Totenschädel im dunklen Sand – willkommen an der Skeleton Coast. Dass sich einer unserer Reifen ausgerechnet hier verabschiedet, ist nach etlichen Bergetappen zuvor pure Ironie.
Wir kommen verspätet und bei völliger Dunkelheit im Camp „Mile 108“ an. Elektrizität gibt es hier nicht. Daran Holz zu suchen, ist in der nassen Sandwüste nicht zu denken. Aber ein Paket Feuerholz vom Betreiber des Camps rettet uns den Abend. Wir sitzen um das Feuer um nicht zu frieren, neben uns rauschen die Wellen des Atlantiks, in meinem Gesicht spüre ich den Sonnenbrand vom Morgen.



Als der Motor unseres Autos Mitten im Etoscha Nationalpark überhitzt, stehen wir vor einem völlig neuen Problem. Aussteigen können wir hier eigentlich nicht, vielleicht würden wir die Aufmerksamkeit eines Löwen oder Geparden auf uns ziehen. Doch wir, die wir noch nie einen Löwen in freier Wildbahn gesehen haben, können diese Gefahr nicht richtig ernst nehmen. Ohnehin haben wir keine große Wahl und das Risiko reizt. Zu zweit laufen wir mit leeren Wasserkanistern zu einem nahgelegenen Wasserloch. Dabei schrecken wir eine Herde Zebras auf, die gerade am Ufer trinkt. Die Tiere galoppieren einige Meter davon, bleiben dann aber hinter Bäumen stehen um uns zu beobachten. Schnell füllen wir die Kanister auf. Solange die Zebras noch ruhig um uns herum stehen, kann kein größeres Raubtier nah sein. Ein naiver Rückschluss und dennoch beruhigend. Für eine Weile herrscht verkehrte Welt am Wasserloch in Etoscha. Schließlich haben wir genug Wasser um den Motor zu kühlen. Zurück im sicheren Auto kann die Tour weitergehen.



Doch meistens läuft alles gut. Oft sitzen wir noch im Auto wenn die letzten Sonnenstrahlen das Land wärmend in rötliche Farben tauchen. Dann verschwindet die Sonne hinter dem Horizont und wir wissen warum Entfernungen in diesem Land gar keine sind: Jeder Kilometer ist völliges Neuland und wartet nur darauf entdeckt zu werden.