Township Katutura – Ein Wochenende in Schwarz-Weiß

Windhoek kann ganz schön tot sein. Nicht so samstags. Ich nutze den einzigen Tag an dem ich vor Ladenschlusszeiten in die Stadt komme um mir die vielen kleinen und großen Geschäfte anzugucken. Die Innenstadt der Landeshauptstadt ist modern aber klein. Einige wenige Hochhäuser dominieren die Skyline, das Menschentreiben konzentriert sich im Wesentlichen auf die zwei großen Malls und eine kleine Fußgängerzone. Doch die beiden Malls trennen Welten. Besser gesagt, sie sind getrennte Welten. Beim Frühstück in der Maerua-Mall fällt uns auf, das sich hier fast ausschließlich Weiße aufhalten. Vielleicht einen Kilometer entfernt im Wernhill-Park hingegen lassen sich Europäer und Amerikaner an nahezu an zwei Händen abzählen. In den angrenzenden Straβen sitzen Einheimische und verkaufen Holzschnitzereien.


Samstags in Windhoek (Wernhill-Park)

Herero Frau in stammestypischer Kleidung



Bald ist St. Patrick’s Day. Der Tag macht auch vor der internationalen Studenten- und Praktikanten Community nicht halt. Samstag Nachmittag gibt es grünes Bier bei 30°C am Pool. Während nach und nach alle, ob angezogen oder nicht, im Wasser landen, rückt Afrika immer weiter in die Ferne. Laptop-Musik, kühle Getränke und die deutsche Sportschau im Fernsehen. Nur der Security-Guard, der mir abends das Tor des Hostels öffnet, erinnert daran, wo wir wirklich sind. Er verdient N$5, also 38ct, pro Stunde. Das reicht hier noch nicht einmal für eine kleine Flasche Wasser.



Im Gegensatz zum Samstag steht mein Sonntag ganz im Zeichen des schwarzen, und vielleicht wirklichen, Afrikas. Mit dem Taxi fahre ich in das nicht weit entferne Township Katutura - ein Stadtteil einst eigens dafür errichtet um die schwarze Bevölkerung aus der Innenstadt zu halten. Während es heute keine Grenzkontrollen zwischen Township und Innenstadt mehr gibt und einige Stadtviertel ethnisch vielfältiger sind, bleibt Katutura weiterhin Anlaufstelle für die Armen des Landes. Nach inoffiziellen Schätzungen leben heute bis zu 200.000 Menschen in Katutura, etwa so viele wie in allen anderen Stadtteilen zusammen.


Ich lasse mich am Soweto Market absetzen und bin überrascht. Entgegen meiner Vorstellungen stehen hier Häuser aus Beton und die Straßen sind gut ausgebaut. Doch mit jedem Meter, den ich zu Fuß gehe, wird die Nachbarschaft ärmer. Steinmauern werden durch Maschendraht ersetzt, dann durch Bleche. Aus Haustüren werden Vorhänge. Einheimische sitzen am Straßenrand unter Regenschirmen, vor ihnen meist ein umgedrehter Pappkarton auf denen sie Teigwaren, Kaugummi oder Chipstüten verkaufen. Überall sieht man ausgesonderte Autoteile, oder gar ganze Karosserien, die irgendwann einfach liegen gelassen wurden. Alte Autoreifen werden als Sitzgelegenheiten und Türen als Windschutz genutzt.


Auf einmal hört die Straße auf und geht in staubige hellbraune Erde über. Vor mir liegt das, was beschönigend Silver City genannt wird. Eine hügelige Landschaft aus silbernen Wellblechhütten. Alle dreihundert Meter komme ich an einem öffentlichen Wasserhahn vorbei.
Während in Windhoeks Innenstadt zu diesem Zeitpunkt fast niemand auf den Straßen zu sehen sein wird, spürt man hier in Katutura das Leben. Menschen sitzen am Wegesrand, vor ihren Hütten oder unter Bäumen. Aus vielen der Wellblechbehausungen kommt laute Musik, viele Frauen sitzen auf Plastikstühlen im Freien und lassen sich die Haare machen. Junge Männer nutzen den ruhigen Sonntag um ihre Taxen zu schrubben.


Ich scheine der einzige Weiße heute hier im Township zu sein. Die Reaktionen der Bewohner sind unterschiedlich. Leute bleiben stehen, gucken mir hinterher. Viele rufen, fragen wie es mir geht. Auf Englisch, Afrikaans oder Sprachen, die ich nicht verstehe. Einige Blicke wirken verständnislos, fast vorwurfsvoll. Manche Gruppen machen Witze und lachen, als ich vorbeigehe. Andere Blicke sind freundlich. Doch am meisten fasziniert haben mich die Kinder. Sie bleiben vor mir stehen, lachen mich unvoreingenommen freundlich an und fragen auf Englisch wie es mir geht oder wo ich herkomme. Irgendwann verlaufe ich mich zwischen den Hütten, weiß nicht mehr wo Weg und wo Vorgarten ist. Ich ernte den vorwurfsvollen Blick einer Frau, die gerade die Wäsche von einer Leine nimmt. Aber ich laufe auch einem Strassenkehrer in die Arme, der es sich zur Aufgabe gemacht hat die Kieselsteine zwischen den Huetten wieder gleichmaessig zu verteilen. Er haelt inne und strahl mich an. Ob ich irgendjemanden suche, fragt er laechelnd. Dass ich einfach nur so zu Fuss unterwegs bin, will er nicht richtig verstehen. Doch er winkt mir freundlich hinterher als ich weiter gehe. Dann durchquere ich ein ausgetrocknetes Flussbett und renne fast einen Mann, der hier im hohen Gras hockt. Mir wird bewusst, was es heißt in einer Hütte ohne Wasserleitungen zu wohnen. Einige der Hütten sind als Bars eingerichtet, es gibt selbstgebrautes Bier oder Windhoek Lager. Auf einem Hügel steht eine kleine Gospelkirche, sie ist so voll, dass die Besucher noch dicht gedrängt vor der Eingangstür und an den Fenstern stehen. Es ist das Afrika aus Bilderbüchern, auf eine gewisse Weise auch das Afrika, dass ich gesucht habe. Aber keineswegs das Afrika, das die einheimischen sich selbst wünschen. Katutura ist Herero und heißt übersetzt „der Ort, an dem wir nicht bleiben möchten“.