Die Kinder von Katutura


Und wieder ein Tag ohne Regen hier in Namibia. Uns strahlt die heiße Sonne ins Gesicht, während wir durch die staubigen Straßen Katuturas gehen. In meiner Hand habe ich eine Kamera. Die Kamera, die ich bisher aus Respekt zu Hause gelassen hatte. Aus Respekt oder eben auch aus Angst. Davor überfallen zu werden, davor ein falsches Bild bei den Menschen zu hinterlassen. Doch an diesem Samstag möchte ich Bilder mitnehmen. Ich möchte endlich versuchen das festzuhalten, was ich schon auf meinen bisherigen Township-Besuchen erlebt und gesehen habe: Das Miteinander der Afrikaner, das Leben in den Straßen und die fröhlichen Gesichter. Es ist ein kleiner Ausflug gegen alle Regeln. Mit einem öffentlichen Taxi in das ärmste Gebiet der Stadt - bepackt mit Wertgegenständen zu den Mittellosen.
Doch was wir erleben macht deutlich, wie sehr alle Warnungen auf Vorurteilen beruhen.

Wir tauchen ab im Tumult der Straßen. Gehen vorbei an den hölzernen Verkaufsständen der Einheimischen, auf denen kleine Mengen von Obst, Nüssen oder Chipstüten verkauft werden. Vorbei an den Barbershops, den unzähligen Shebeens (Kneipen), vorbei an den Blechhütten.


Zwei kleine Jungen rennen um die Wette. Sie schieben aus Draht gebastelte Rennautos vor sich her. Ein kleines Mädchen spielt mit ihren Geschwistern in einem ausrangierten Einkaufswagen. Als ich von der anderen Straßenseite aus ein Foto mache, lacht sie fröhlich in die Kamera. Sie hebt ihre kleine Schwester ein wenig höher und wartet darauf, dass ich noch einmal auf den Auslöser drücke.


Ein anderes Mädchen beobachtet uns und guckt verlegen herüber. Als ich dann auch von ihr ein Foto mache, sieht man in ihrem Gesicht, wie die Verlegenheit einem Gefühl von Stolz weicht. Für einen kurzen Augenblick steht sie ganz im Fokus der Aufmerksamkeit, dieser Moment ist offensichtlich ihrer.

Viele Kinder sind weniger schüchtern, schon bald kommen immer mehr herbeigelaufen. In Gruppen posieren sie vor der Kamera, kleine Finger greifen aufgeregt nach dem Display, als die Kinder sich selber auf den Fotos wiedererkennen.


Wir gehen weiter und kommen zur Villa Kunterbunt, einem kleinen Kindergarten. Auch hier zeigen sich die Kinder uneingeschränkt begeistert von den Fotos, auf denen sie selber zu sehen sind. Ein kleiner Junge fängt an zu weinen, da ihn seine Mutter auf dem Arm hält und er nicht mit auf das Bild kommt. Immer noch sichtlich verknittert guckt er dann in die Kamera, als ihn seine Mutter schließlich auf den Boden setzt.


Die Entscheidung an diesem Samstag die Kamera mit zu nehmen, war ein voller Erfolg. Nicht nur die Kinder sind begeistert, auch mit den Erwachsenen kommen wir so ins Gespräch. Sie wollen wissen, was wir im Township machen. Viele verblüfft es, dass uns das lebendige Treiben in den Armenvierteln schlichtweg interessiert. Die meisten von ihnen hat die Suche nach Arbeit in die Hauptstadt getrieben. Zur Selbstversorgung dienende Farmen im Norden Namibias werden aufgegeben, nicht zuletzt weil das unfruchtbare Land dazu zwingt. Doch für die meisten Ankommenden sind die immer größer werdenden Slums am Stadtrand die Endstation. Nur in seltenen Fällen schaffen die Menschen den Sprung in einen der wenigen gut bezahlten Jobs in der Innenstadt. Warum also ausgerechnet wir freiwillig unsere Zeit in den Slums verbringen, können sie nicht verstehen.


Am liebsten würde ich die Bilder nehmen, die ich heute gemacht habe und ihnen den Grund dafür in ihren eigenen fröhlichen Gesichtern zeigen. Doch ich glaube, sie würden es selbst dann nicht verstehen. Auf jeden Fall aber werde ich die Bilder denjenigen zeigen, die sich in der Stadt hinter ihren Mauern verschanzen, zum Einkaufen das Auto nehmen und nicht ein einziges Mal im Township waren. Es gibt eine moderne Apartheid - und sie lebt.

Als wir uns verabschieden und wieder Richtung Innenstadt gehen, stehen die Kinder noch vor ihren Hütten und winken uns begeistert hinterher.