Lokale Wirtschaftsförderung

Vierzig Stunden die Woche sitze ich im GTZ-Büro, das schon seit vier Monaten. Wenn ich selten darüber schreibe, dann nicht weil ich Freizeit Freizeit lassen will. Nie zuvor hat mir ein Job so gut gefallen, wie der hier in Namibia. Nie zuvor war es so einfach morgens aus dem Bett zu kommen, nie zuvor so schwer um Punkt fünf das Buero zu verlassen. Doch es ist schon die letzte Woche.

So spannend jeder einzelne Tag zwischen Städtebudget, Unternehmenszensus und lokaler Wirtschaftsförderung auch gewesen ist, ein klares Highlight war die Geschäftsreise der letzten Woche. Es ging in den Norden Namibias, an die Grenze zu Angola. In die Gebiete, die nicht entwickelt sind, hinter den Horizont der für das Land wichtigen Pauschaltouristen.
Zusammen mit Harald, meinem Chef, Eckart, einem Consultant und Fritz, unserem namibianischen Fahrer, sitze ich im Auto. Unterstützt von der GTZ werden in Eeenhana sowie in Helao Nafidi PPDs durchgeführt. Public Privat Dialogues – der Versuch Stadtverwaltung und lokale Unternehmer an einen Tisch zu bringen.

Nach achtstündiger Autofahrt kommen wir übermüdet und hungrig an. Durch diese Bedingungen verstärkt bekomme ich zu spüren was es heißt in Namibia Politik zu machen. Die für die Begrüßungsrede eingeladene Bürgermeisterin Eenhanas lässt sich Zeit. Erst 90 Minuten nach offiziellem Beginn der Veranstaltung taucht sie auf. „Es ist eine Frage des Respekts“, erklärt Eckart. „Wer zu spät kommt wirkt wichtig und wird respektiert“. Der Rest der Veranstaltung verläuft relativ gut. Unternehmer tragen Anliegen vor, der Stadtrat reagiert. Nach vier Stunden beendet Eckart, der als Vermittler agiert, die Diskussionen. Es war ein erfolgreiches erstes Treffen und es ist klar, dass seitens der Unternehmer noch Redebedarf besteht, der viele weitere füllen könnte.

Spannender noch wird es am nächsten Tag in Helao Nafidi. Dieses Mal ist es der Vorstand der nationalen Industrie- und Handelskammer, der sich Zeit lässt. Zwar hatte er beim Mittagessen noch neben uns gesessen, doch zu Beginn des PPDs taucht er nicht auf. „Ich bin jetzt unterwegs“, sagt Tara, als wir ihn anrufen. Dieselbe Antwort auch eine halbe Stunde später, der Weg vom Restaurant bis zum Veranstaltungsort ist gerade einmal 2 Kilometer lang. Dann endlich steht er in der Tür, begleitet von zwei auffällig modisch gekleideten Assistentinnen. Ein ausdrucksstarkes Bild.
Die Gespräche heute finden in einem Gästehaus auf dem Grundstück der alten Namundjebo Farm statt. Der große Saal wirkt bedingt durch sein Strohdach ein wenig wie eine Scheune. Es ist dunkel im Inneren, quietschend drehen sich die Ventilatoren hoch oben an der Decke. Wieder sind zahlreiche Unternehmer gekommen. Neben den vielen Kleinstunternehmern sind heute auch ausländische Vertreter anwesend. Ein stämmiger Libanese sitzt schräg vor mir, ihm gehört faktisch die halbe Grenzstadt Oshikango, wie ich später erfahre. Von den Chinesen, die inzwischen in ganz Afrika Geschäfte aufbauen, ist niemand gekommen. Während ihre großen Fabrik- und Lagerhallen die kleinen Städte dominieren, halten sie sich selbst im Hintergrund - Non-Interference, die Nicht-Einmischungspolitik.

Schon kurz nach Beginn ist am heutigen Abend klar, dass die vier Stunden nicht reichen werden um alle Fragen zu beantworten. Fast alle Diskussionen drehen sich um die Landreform. Wer hat das Recht auf welches Stück Land? Es ist die Frage, die in Afrikas jüngster Geschichte mehr als einen Staat zerrissen und in den Bürgerkrieg geführt hat. Doch hat Namibia, als eines der weiter entwickelten Länder Afrikas, nicht schon längst die passende Antwort auf das Problem gefunden? Ich erinnere mich an die Worte Eckarts: „Es ist eine Zeitbombe.“

Mit der Unabhängigkeit Namibias wurde beschlossen eine Umverteilung des Landes vorzunehmen. Aus den Händen der Weißen, die im Zuge der Kolonialisierung unrechtmäßig weite Teile des Landes in Anspruch nahmen, sollte es wieder zurück an die Schwarzen gehen. An den kleinen Mann, Familien, Subsistenzfarmer. Zimbabwe diente diesbezüglich als Vorbild, doch werden Weiße in Namibia nicht gewaltsam vertrieben, sondern ausgezahlt. Der Staat kauft Land auf und gibt es an die Einwohner weiter. Doch an dieser Stelle taucht unweigerlich eine Parallele zu Zimbabwe auf. Die großen, zuvor durch Weiße betriebenen, Farmen sind jetzt in der Hand von Einheimischen unerfahrenen Bauern. Ihnen fehlen Bildung und Resourcen, viele Farmen verkommen, Ernten reduzieren sich auf ein Minimum. Ein Rückschlag für die Wirtschaft des Landes zu Gunsten der ethnischen Gerechtigkeit.

Wie kann Landbesitz überhaupt zu einem Problem werden in einem Staat der die doppelte Größe Deutschlands besitzt aber nur 2 Millionen Einwohner beherbergt? Es geht um die Städte. Zuvor von traditionellen Regierungen regulierte Gebiete werden auf einmal zu Städten erklärt und deren Stadtgrenzen scheinbar willkürlich gezogen. Auf einmal befinden sich Farmer in der Stadtmitte wieder, das Recht auf ihr Land verlieren sie damit an den Staat. Sie sollen umsiedeln, bekommen aber eine Entschädigung. 80.000 namibische Dollar, das sind ca. 6.500 Euro. Vielleicht ein fairer Preis, doch schon am nächsten Tag verkauft die Stadt dasselbe Grundstück für 1.5 Millionen N$ an einen der Schlange stehenden Unternehmer. Die Landbesitzer wissen das, unweigerlich entsteht so eine Schattenwirtschaft. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn unter den Schatten der Bäume am Straßenrand verhandeln Farmer und Investor nun direkt, die Stadtverwaltung bleibt außen vor. So gehen der Stadt schnell die zu verkaufenden Grundstücke aus, ehrliche Kleinunternehmer haben keine Chance.

Heute Abend stehen sie auf. Schon bald bemüht sich niemand mehr Englisch zu reden, auf Oshivambo koennen sie ihren Ärger besser ausdrücken. Eckart, der beide Sprachen beherrscht, muss mit vollem Einsatz zwischen den Parteien vermitteln. Ein Kompromiss wäre die Lösung, Unternehmer und Stadt sollten sich zusammentun und gemeinsam einen fairen Preis an die Landbesitzer zahlen. Doch die Vertreter der Stadt bleiben stur. Ihnen seien die Hände gebunden, alles sei auf nationale Gesetzgebung zurückzuführen.

„Nationale Gesetzgebung“, Eckart und Harald lachen vielwissend, als wir spaeter mit einem Bier im Garten einer Kneipe sitzen. „Die Korruption ist der Grund. Sobald die Abwicklung der Landreform nicht mehr allein über die Stadtverwaltung läuft, können sie nicht mehr abkassieren. Niemand hat Interesse daran etwas an der jetzigen Situation zu ändern. Sie stecken alle mit drin.“

Einzig der finanzstarke Libanese hatte den Mut diese Wahrheit auszusprechen. Als er gefragt wurde, was seiner Meinung nach der Grund für die aktuelle Situation sei, antwortet er: „Schlechtes Management. Ich bin seit 22 Jahren hier, nichts hat sich geändert. Hoffnungslos. Man sollte sie alle entlassen. Ein neues Management.“ Der Stadtrat schweigt. Erst als Harald aufsteht und anbietet, dass die GTZ einen unabhängigen Berater in die Region schickt, der nach möglichen Lösungen sucht, kommt die Diskussion zu einem Ende.

In der Menge sitzt ein unauffälliger alter Mann mit weißem Bart. Er beteiligt sich nicht am Dialog, doch er beobachtet. „Der Spion der SWAPO“, erklärt Eckart später. „Der hat ganz genau beobachtet, wer sich wie geäußert hat.“ Namibia ist ein ein-parteien-Staat. Aus der Unabhängigkeitsbewegung hat sich die SWAPO entwickelt, die das Land heute regiert. Es gibt andere Parteien, doch ist ein SWAPO Wahlsieg mit 99% der Wählerstimmen keine Seltenheit. Erst vor einigen Wochen hat ein führender Minister der SWAPO dazu aufgerufen Andersdenkende auszugrenzen. Wähler der Opposition sollen gemieden und in ihren Geschäften nicht eingekauft werden. Eine Aussage, die allzu deutlich an die Deutsche Geschichte erinnert. Man hört die Zeitbombe ticken.

Der stellvertretende Bürgermeister beendet an diesem Abend den Public Privat Dialoge. Offensichtlich spricht er kaum Englisch. Wort für Wort muss er die für ihn vorbereitete Rede vom Papier ablesen. Ich sitze im Publikum und komme mir vor wie in der zweiten Klasse Sprachunterricht. Doch dies ist Politik in Afrika und genau aus diesem Grund ist sie so spannend, die Arbeit bei der GTZ. Es muss von ganz vorne angefangen werden. Der stellvertretende Bürgermeister weiß um seine Vorbildfunktion, er spricht Englisch und nicht auf Oshivambo.

Besuch bei den Himba


Auf meinem Schreibtisch in Deutschland liegt ein großer Miserior-Kalender. Das aufgeschlagene Kalenderblatt zeigt zwei kleine Kinder mit rötlicher Hautfarbe inmitten einer Ziegenherde - „Himbamädchen in Namibia“. Der Kalender verbildlicht in vielen Belangen meinen Traum von Afrika. Den von einem vergessenen Kontinenten und unberührten Kulturen. Jetzt bin ich den Himba wirklich begegnet.

Der Blick in die Augen des Mädchens auf dem obigen Foto verrät annähernd die Spannung, die diese Begegnung für mich mit sich brachte. Es war die mit Abstand beeindruckendste und zugleich schwierigste kulturelle Erfahrung, die ich bisher machen durfte. Nur durch die Hilfe Halows, der uns einen Tag lang begleitet, schafften wir es einen Einblick in eine der ältesten Kulturen Namibias zu gewinnen.



Zurückgedrängt durch Kriege und beinahe vernichtet durch große Trockenheiten, leben die rund 5000 Himba heute in Nordwesten des Landes, dem Kaokoveld. Es ist ein Landstreifen, der nicht annährend mit Strom, Wasser und Straßen erschlossen ist. Unser Besuch gleicht einer kleinen Expedition.

Vielleicht war es den Himba gerade deswegen möglich, ihre Kultur der Globalisierung zum Trotz beinahe unverändert beizubehalten. „Das Leben ist immer noch das Gleiche, aber die Kinder können lesen und schreiben“, hört man eine alte Himbafrau sagen.

„Genau hier, bieg rechts ab“, Hallow zeigt auf einen schmalen, zwischen Büschen versteckten Pfad. Das dichte Geäst, das gegen unseren Wagen schlägt, deutet darauf hin, dass auf diesem Weg schon lange kein Auto mehr gefahren ist. Eine ganze Weile fahren wir buscheinwärts, weit weg von jeder größeren Ansiedlung. Schließlich signalisiert Halow, dass wir anhalten sollen. Zwischen den Büschen meint er ein kleines Dorf erkannt zu haben. Doch nur die grasfreien Flächen auf dem Boden deuten darauf hin, dass sich hier einmal Menschen gewohnt haben. Himba sind nomadische Viehzüchter, Jäger und Sammler. Angewiesen auf das knappe Gut Wasser, siedeln sie an immer wieder neuen Stellen.
Erst als wir noch einige Minuten weiter buscheinwärts fahren haben wir Glück. Versteckt zwischen den Büschen liegt eines der kreisrunden Himbadörfer. Die kleinen hügelförmigen Hütten umgibt ein aus Ästen errichteter Zaun. Doch das Dorf scheint verlassen. Einzig die herumlaufenden Ziegen zeigen, dass hier noch ein kleiner Himbastamm wohnt. Wir kehren um, ohne auf die Bewohner getroffen zu sein. Es schein unglaublich, dass die Himba hier, fernab jeder größeren Siedlung, überhaupt überleben können.

Einige abenteuerliche Autostunden später finden wir uns in einer belebteren Gegend wieder. Hier besuchen wir ein Himbadorf, das unweit der befahrbaren Schotterpiste errichtet ist. Als Gastgeschenk tragen wir mehrere Packungen Mehl und Zucker bei uns. Rohstoffe, die von größerem Wert sind als Geld.

Halow läuft vor und begrüßt die Dorfbewohner auf einer Sprache, von der wir kein Wort verstehen. Einladend lächeln die Himba uns an, als wir nachkommen. Wir wollen es mit Zeichensprache versuchen und winken zur Begrüßung. Doch die Reaktion ist anders als erwartet. Niemand winkt zurück, einige Himbakinder bleiben verunsichert stehen als hätten wir ihnen eine warnende „Halt-Stopp“-Hand entgegengehalten. Wir merken, dass an Kommunikation noch nicht einmal mit Gestik zu denken ist. Ohne den englischsprachigen Halow wäre es ein sehr kurzer Besuch geworden.


Als wir den Himba gegenueberstehen, kommen wir uns vor wie in einer anderen Welt. Sowohl Himbamänner als auch –frauen tragen keine Oberkörperbekleidung. Stattdessen wird eine aus zerriebenen Steinen und Tierfett gemischte Ockerfarbe als Sonnenschutz auf die Haut aufgetragen. Um die Lende tragen die Himba braune Stoffe und Tierleder. Die größte Bedeutung wird den Frisuren zugemessen. Junge Mädchen tragen zwei geflochtene Zöpfe über der Stirn - wenn sie mit 12 bis 14 Jahren das heiratsfähige Alter erreichen, lassen sie sich schulterlange Zöpfe wachsen, die mit der roten Ockerfarbe eingerieben werden (Foto). Dicke Schmuckringe am Hals unterscheiden jungfräulichen Frauen von den Müttern. Männer tragen Zöpfe auf dem Hinterkopf.



Wir sehen nur wenige Männer. Die meiste Zeit sind sie als Hirten mit Rinderherden unterwegs, oder sichten auf mehrtätigen Wanderungen Orte für die Umsiedlung des Dorfes. Die Frauen hingegen bleiben zu Hause. Sie versorgen die Kinder, bereiten Nahrung aus Maismehl und Ziegenmilch oder basteln die kulturell wichtigen Schmuckstücke. Zählen können die Himba nicht. Sie wissen weder, wie viele Menschen in ihrem Dorf leben, noch ihr genaues Alter.




Eine der älteren im Dorf lädt uns in eine der aus Dung gebauten Hütten ein. Im Inneren ist es stickig und warm. Das auf dem Boden ausgebreitete Rinderleder stellt ein Doppelbett dar. Die Frau nimmt eine Schale und entzündet darin eine Mischung aus trockenen Kräutern. Anschließend hebt sie ihren Rock an und kniet sich über die rauchende Masse - verschämt muss sie dabei lachen. Dass Ritual stellt den Waschvorgang der Himbafrauen dar. Der am Körper hinaufsteigende Rauch soll diesen von Keimen und Schmutz befreien. Himbafrauen ist es nicht erlaubt mit Wasser in Berührung zu kommen.

Zwischen der Hütte des Dorfoberhauptes und dem zentralen Kälberkral brennt das heilige Feuer Okuruwo. Es dient als Verbindung zu den Geistern der Verstorbenen und darf niemals erlöschen. Immer wieder treten die Dorfbewohner am Feuer mit ihren Ahnen in Verbindung. Diese vertreten den Gott Mukuru und bieten Unterstützung bei wichtigen Entscheidungen.

Ein kleines Mädchen milkt eine Ziege, in einer Hütte mahlt eine Frau Mais zwischen zwei Steinen zu Mehl. Die Himba leben von Milch und Maismehl. Manchmal wird eine Ziege geschlachtet, entweder als Opfergabe oder für eine reichere Mahlzeit. In selten Fällen auch eine Kuh.



Als ich das Foto einer Himbafrau mache, merkt diese, dass sie so ihre eigene Frisur sehen kann. Vielleicht zum ersten Mal - im Himbadorf gibt es keine Spiegel. Jetzt wollen auch einige andere Frauen Nahaufnahmen von ihrem Hinterkopf. Sie sind begeistert von den Bildern und sichtlich stolz auf ihre traditionellen Frisuren.
Dann werden sie neugierig. Sie wollen wissen wissen wo wir herkommen und woher wir uns kennen. Ich werde gefragt, wo meine Frau wohne und ob ich Kinder habe. Auf meine Antwort folgt Unverständnis. Eine der erwachsenen Frauen zeigt auf ein jüngeres Mädchen und fragt ob ich sie heiraten möchte. Doch auch die Himba müssen über dieses spontane Angebot lachen.



Abends fahren wir weiter in Richtung der Epupa Wasserfälle an der Grenze zu Angola. Halow bleibt in einem kleinen Dorf, das auf der Strecke liegt. Er bittet uns einen jungen Himba mitzunehmen, der in dieselbe Richtung unterwegs ist. Inzwischen ist es dunkel. Mehrmals auf der Fahrt fängt der Mann an zu gestikulieren, irgendetwas sagt er auf Himba. Doch wir verstehen weder Worte noch Gestik. Er gibt auf und lässt sich zurück in seinen Sitz sinken.
Als vor uns auf der Straße eine Rinderherde auftaucht, springt der junge Himba aus dem Wagen. Zunächst denken wir, er wollte die Herde von der Straße vertreiben. Stattdessen treibt er sie vor uns her. Wir steigen aus, um ihn zu fragen, was er vorhat. Wieder scheitern wir an der Sprachbarriere. Nach etlichen Verständigungsversuchen müssen wir aufgeben. Wir legen uns darauf fest, dass der Himba nicht zurück ins Auto kommen möchte und stattdessen bei der Herde bleibt. Vielleicht ist es seine.

Es war ein Tag, den ich nicht mehr vergessen werde. Nie hätte ich wirklich daran geglaubt, dass es inmitten eines modernen Landes wie Namibia noch so fremde Kulturen gibt. Nie hätte ich daran geglaubt, dass ich dem einmal so nah kommen würde. Bis heute – bis zu meinem Besuch bei den Hirten und Nomaden Namibias, den Himba.



Entfernungen


Es ist ein Land, in dem 1500 Kilometer zwischen der nördlichsten und der südlichsten Stadt liegen. Ob die 800 Kilometer in den Süden oder die 700 Kilometer an die angolanische Grenze in den Norden: Tagesstrecken - Entfernungen haben eine andere Bedeutung.

Autobahnen gibt es nicht, Landstraßen sind mit Schlaglöchern gespickt und die weit verbreiteten Schotterpisten sind oft von ausgetrockneten Flussläufen unterbrochen.
Auf unseren Wegen überholen wir Eselskarren, viele Menschen sind zu Fuß unterwegs.

Der Weg ist das Ziel, heißt es. Hier in Namibia ist er das im wahrsten Sinne des Wortes. Unterwegs erst stößt man auf die weit verstreut lebenden Menschen, man kann beobachten wie sich Landschaft und Klima im Minutentakt ändern, Straßenwarnschilder zeigen Warzenschweine oder Elefanten.



Immer wieder sieht man Menschen im Gras neben der Straße laufen. Meist barfuß und ohne Gepäck. Irgendwo versteckt hinter den Büschen muss es kleine Siedlungen geben. Die Menschen haben Zeit und Geduld um von einem Ort zum nächsten zu kommen. Manchmal stehen sie auch unter Straßenschildern oder Bäumen und warten darauf mitgenommen zu werden.

Je ländlicher die Gegend, desto ungewöhnlicher muss es für die Einwohner sein, dass Autos vorbeifahren. Immer wieder kommen Kinder aus den kleinen Siedlungen gelaufen. Sie kennen den kurvigen Verlauf der Straßen, wissen in welche Richtung sie laufen müssen um die passierenden Autos abzufangen. Von den wohlhabenden Touristen, die in diese abgelegenen Gegenden kommen, erhoffen sie sich ein wenig Geld oder Nahrungsmittel.





Noch lange nicht sind die Strecken vorbereitet auf den einzelnen Reisenden. Als wir vor zwei Wochen auf dem Weg in den Süden waren, kommen wir in die Kleinstadt Mariental. Die Tanknadel unseres Wagens steht mittig. Vorsichtshalber werfen wir noch einen Blick auf die Karte. „Kein Problem, bis nach Keetmanshoop müssten wir es eigentlich schaffen. Auf dem Weg liegen außerdem noch zwei weitere Tankstellen.“ Laut Karte. Eine Stunde später nähert sich die Tankfüllung dem Nullpunkt. Wir steuern den kleinen Ort an, in dem die nächste Tankstelle eingezeichnet ist. Geschlossen. Es gibt kein Benzin mehr, die Versorgung per Tanklaster ist längst überfällig.
Wir müssen lange suchen, bis wir die zweite auf der Karte eingezeichnete Tankstelle in einem weiteren kleinen Ort finden. Zwei Zapfsäulen stehen verlassen dar, es sieht nicht so aus, als ob hier in letzter Zeit Benzin verkauft worden sei. Wir fragen eine Frau, die uns beobachtet hatte. Es sei Wasser in die Benzintanks gekommen, man müsse jetzt darauf warten, dass Shell den Reparaturdienst schicke.


Wir stehen mitten in der Steppe, in einem kleinen Ort ohne funktionierende Tankstelle, die Tanknadel ist endgültig bei Null angekommen. Da es in dem Ort kaum Autos gibt, haben wir keine große Hoffnung jemanden mit vollen Benzinkanistern zu finden. Unsere Rettung ist schließlich ein Mann aus Windhoek, der hier heute Verwandte besucht. Mit einer alten Plastikflasche zapft er Benzin aus dem Schlauch seines Wagens ab. Fünf Flaschenfüllungen später haben wir wieder genug im Tank um es bis zur nächsten Stadt zu schaffen.

Unsere erste Reifenpanne haben wir an der Skeleton Coast, dem wahrscheinlich unfreundlichsten Landstreifen des Landes. „Die Hölle Namibias“ mach gut ein Drittel der gesamten Küstenstrecke aus. Wir kommen an ein Eingangstor uns müssen unser Auto registrieren bevor wir den unbewohnten Landstreifen befahren dürfen. Während wir noch am Morgen durch die pralle Sonne zwischen Giraffen und Springböcken gefahren sind, ziehen jetzt dichte Nebelschwaden auf, es wird dunkel und bitterkalt. Entlang der Küste liegen mehrere Wracks von Lastschiffen, die hier auf Grund gelaufen sind. Zu allem Überfluss finden wir Knochen und Totenschädel im dunklen Sand – willkommen an der Skeleton Coast. Dass sich einer unserer Reifen ausgerechnet hier verabschiedet, ist nach etlichen Bergetappen zuvor pure Ironie.
Wir kommen verspätet und bei völliger Dunkelheit im Camp „Mile 108“ an. Elektrizität gibt es hier nicht. Daran Holz zu suchen, ist in der nassen Sandwüste nicht zu denken. Aber ein Paket Feuerholz vom Betreiber des Camps rettet uns den Abend. Wir sitzen um das Feuer um nicht zu frieren, neben uns rauschen die Wellen des Atlantiks, in meinem Gesicht spüre ich den Sonnenbrand vom Morgen.



Als der Motor unseres Autos Mitten im Etoscha Nationalpark überhitzt, stehen wir vor einem völlig neuen Problem. Aussteigen können wir hier eigentlich nicht, vielleicht würden wir die Aufmerksamkeit eines Löwen oder Geparden auf uns ziehen. Doch wir, die wir noch nie einen Löwen in freier Wildbahn gesehen haben, können diese Gefahr nicht richtig ernst nehmen. Ohnehin haben wir keine große Wahl und das Risiko reizt. Zu zweit laufen wir mit leeren Wasserkanistern zu einem nahgelegenen Wasserloch. Dabei schrecken wir eine Herde Zebras auf, die gerade am Ufer trinkt. Die Tiere galoppieren einige Meter davon, bleiben dann aber hinter Bäumen stehen um uns zu beobachten. Schnell füllen wir die Kanister auf. Solange die Zebras noch ruhig um uns herum stehen, kann kein größeres Raubtier nah sein. Ein naiver Rückschluss und dennoch beruhigend. Für eine Weile herrscht verkehrte Welt am Wasserloch in Etoscha. Schließlich haben wir genug Wasser um den Motor zu kühlen. Zurück im sicheren Auto kann die Tour weitergehen.



Doch meistens läuft alles gut. Oft sitzen wir noch im Auto wenn die letzten Sonnenstrahlen das Land wärmend in rötliche Farben tauchen. Dann verschwindet die Sonne hinter dem Horizont und wir wissen warum Entfernungen in diesem Land gar keine sind: Jeder Kilometer ist völliges Neuland und wartet nur darauf entdeckt zu werden.