Unterwegs mit Alexandria

Die malawische Likoma Island liegt im Malawisee wenige Kilometer vor der Küste Mosambiks. Das Leben auf der gerade einmal zwei Kilometer breiten und acht Kilometer langen Insel folgt seinen eigenen Gesetzen. Etwa 7000 Nyanja, Chewa und Tonga leben hier vom Maisanbau oder dem Fischfang. Meistens ist es ruhig auf der Enklave, die wegen ihrer Vegetation auch Affenbrotbaum-Insel genannt wird. Man sieht die Einwohner an den Stränden bei der Wäsche, hinter hölzernen Verkaufsständen im Dorf, an der Kathedrale zur Gebetszeit oder am Wegesrand, wo sie mit kleinen Hämmern Steine für die Baustellen zerkleinern.

Zwei mal in der Woche wird es hektischer auf der Insel, dann strömen die Bewohner zum kleinen Hafen, wo die Ilala-Fähre vor Anker geht. In einer stundenlangen Prozdedur verkehren zwei Beiboote zwischen der Fähre und dem Strand. Geduldig warten die Passagiere am Strand, wenn unzählige Säcke mit Lebensmitteln, Gebrauchswaren und sogar Möbeln umgeladen werden. Jedesmal kommt auch eien handvoll Rucksacktouristen mit an Land. Dann legt die Fähre irgendwann wieder ab und die Ruhe kehrt zurück.

Als ich auf dem Weg über die hüglige Insel bin, treffe ich den 16-jährigen Alexandria. Wir gehen eine Zeit lang in dieselbe Richtung. Da sein Englisch nicht besonders gut ist, ist eine Unterhaltung schwierig. Doch immer wenn Alexandria nicht weiß was er sagen soll, fängt er an aufzuzählen: "Greece: Athens. Egypt: Cairo. Belgium: Bruxelles ..." Er lese gerne, sagt er. Er wird in der kleinen Kathedrale von den Priestern unterrichtet, dort gebe es sogar eine Bibliothek mit Büchern und Landkarten. Wenn er groß ist, möchte er selbst einmal Priester werden. Vielleicht auf Likoma Island, vielleicht aber auch in Malawi oder Mosambik. Zweimal war er mit seinen Eltern schon auf dem Festland, aber das sei lange her, sagt er. "Mozambique: Maputo. Japan: Tokyo. Scottland: Edinburgh ..."

Von der Insel aus möchte ich nach Mosambik einreisen. Da ich das malawische Festland schon verlassen habe, muss ich auf Jack warten. Jack ist ein mobiler Grenzbeamter, der ab und zu auf die Insel kommt um malawische Ausreisestempel auszustellen. An meinem dritten Tag auf der Insel höre ich, dass Jack im Dorf ist und tatsächlich finde ich ihn am Strand in einem nicht fertiggestellten Steingebäude. Hier steht er hinter einer kleine Betonmauer, vor der sich eine Schlange gebildet hat.

Einen Tag später klettere ich vom Beiboot auf die Ilala Fähre. Ich sitze an Deck als Alexandria plötzlich auftaucht. Ich muss gewusst haben, dass ich heute fahre und ist gekommen um sich zu verabschieden. Auf dem Weg auf das untere Deck dreht er sich dann noch einmal um und zählt auf: "The elements of weather: wind, temperature, atmospheric pressure, humidity, clouds, precipitation ..." Dann ist er verschwunden. Bald wird Alexandria achtzehn und ist damit vielleicht alt genug für die Priesterschule. Ob er auf Likoma bleiben wird? Ob er jemals die Möglichkeit haben wird die Stadt zu besuchen, nach der er vielleicht bennant worden ist? Die berühmte Bibliotheca Alexandrina jedenfalls würde ihn begeistern. Insgeheim wünsche ich Alexandria eine Zukunft jenseits der Priesterschule, irgendwo da draußen in der Welt, deren Geographie er schon so gut kennt. Aber Träume sind wohl immer eine Frage der Perspektive und Vorbilder sind es auch.