Unterwegs

Von A nach B Ein weißer Pickup hält. Als ich auf den Beifahrersitz klettere, brettert ein gelb-grüner Ford an uns vorbei. „Du hast Glück gehabt, dass du da nicht eingestiegen bist“, sagt der Fahrer grinsend. „Der Kerl hat nur noch ein Bein, er benutzt seinen Gehstock um Gas zu geben.“

Kontraste Ich schlage mein Zelt in auf einem Campingplatz direkt am Okavango auf. Die Anlage wirkt wie ein Dschungel, in den Baumkronen gibt es sogar Baumhütten für Übernachtungsgäste. Die Übernachtung kostet nicht viel und ist dennoch luxuriös. Toiletten, fließend Wasser und eine Bar. Als ich das Gelände verlasse um den Flusslauf zu erkunden, stoße ich auf zwei nackte Gestalten. Eine Mutter und ihre Tochter haben die Wasserleitung, die zum Camp führt, angezapft und duschen sich mit dem frischen Wasser.

Weltenbummler Im Norden Namibias treffe ich Rob. Der schlaksige Engländer ist gelernter Installateur und hat vor drei Monaten seinen Job geschmissen und mit dem Motorrad Afrika zu umrunden. Entlang der Westküste hat er schon fast die Hälfte des Weges hinter sich gebracht, am Südkap will er seine Schwester treffen. Heute, ein Jahr später, erfahre ich, dass Rob es auf dem Rückweg nur bis nach Malawi geschafft hat. Von dem Land fasziniert ist er dort hängengeblieben, zumindest vorübergehend.

Entwicklung Auf dem Open Market in Katima Mulilo esse ich Maisbrei mit Fisch und Spinat. Es ist das zweite Mal, dass ich mich auf einem Open Market befinde, nachdem ich während meines Praktikums schon viel darüber gehört hatte. Irgendwie wirkt der Markt mit seinem geputzten Pflastersteinen und modernen Ständen künstlich. Die meisten Stände sind ohnehin nur karg ausgestattet und von Kundschaft fehlt jede Spur. Anderswo in Afrika habe ich die buntesten Märkte gesehen, auf denen auch nachts bei Kerzenschein noch Waren die Besitzer wechselten. Doch hier im Norden Namibias wird deutlich, dass eine gute Idee der Politik allein noch lange nicht reicht um Entwicklung zu erreichen.

Schattenwirtschaft Als ich am Straßenrand in Sambia eine Stunde auf eine Mitfahrgelegenheit warte fährt ein Auto an mir vorbei hält aber wenige Meter weiter am Straßenrand. Wie auf Kommando springt die Tür einer unscheinbaren Holzhütte auf und ein Mann mit Benzinkanister kommt hervor. Ein zweiter kommt herbeigelaufen und holt einen Kanister aus einem Erdloch. Ein dritter Mann steht etwas weiter ab merkt, dass er den Wettbewerb um dieses Auto verloren hat. Die beiden ersten Männer haben das Auto erreicht und zwischen ihnen entflammt ein Streit. Während der eine Benzin aus seinem Kanister gießt, steht der zweite fluchend daneben und versucht erfolglos auf den Fahrer einzureden. Alle zehn Minuten halten neue Autos und das Spiel wiederholt sich. Der Benzinverkauf hier ist illegal, über die naheliegende Grenze schmuggeln die Männer billiges Benzin aus Namibia nach Sambia.

Dokumente Unterwegs sammeln sich immer mehr Papiere an. Die Einreise nach Sambia, 50$, ein Stempel, eine Quittung. Visiten- karten von Mitfahr- gelegenheiten. Simkarten aus den verschiedenen Ländern, ein Ärzteattest aus Harare, Bustickets. Insgesamt bin ich 78 mal neu eingestiegen, ob in Taxen, Minibusse, auf Fähren, Fahrrad-Gepäckträger oder in Züge. Mal bezahlt, mal kostenlos, meistens abenteuerlich. Über- nachtet habe ich in Hostels, auf Campsites oder auf Sofas von Couchsurfern, einmal am Sand- strand Mosambiks. Für manch eine offizielle Bescheinigung habe ich Stunden gewartet, bin zwischen verschiedenen Büros hin und her gefahren, andere sind handgeschrieben.

Ohne Grenzen An den Victoriafällen treffe ich Nick, der nur wenig älter ist als ich. Er gehört der Vereinigung Anwälte ohne Grenzen an und hat gerade Kriegsgefangene aus dem namibischen Unabhängigkeitskrieg verteidigt. Seine nächste Station ist der Kongo, bevor seine abenteuerliche Reise ihn nach Simbabwe verschlägt. Dass der Freiwillige mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn überall mit offenen Armen empfangen wird, bezweifle ich.

Armut Als der Mann neben mir seine Lebensgeschichte herunterleiert, erwarte ich schon die Frage nach Geld. Doch dieses Mal ist es anders und der Mann bittet mich nicht um Bargeld sondern um ein Paket Mehl. Ich lasse mich darauf ein und kaufe ein Paket Mehl und ein Paket Zucker in einem Eckkiosk. Die Freude des Mannes ist echt, überglücklich wünscht er mir den Segen Gottes bevor sich unsere Wege wieder Trennen.

Unterwegs Ich sitze auf der Kante der Pickup-Ladefläche und klammere mich an der Fahrerkabine fest. Insgesamt über 20 Frauen und Männer teilen sich mir die nicht allzu große Fläche des Wagens. Es geht über eine kurvige Schlammstraße über Hügel und durch Pfützen. Jedes Mal wenn wir ein Schlagloch treffen, droht es mich vom Wagen zu werfen. So fahren wir eineinhalb Stunden und als die Sonne untergeht und der Fahrtwind kalt über die Fahrerkabine hinweg bläst, wird es still. Man merkt, dass alle nur noch darauf hoffen endlich anzukommen.

Reiseglück Ich sitze am Strand von Cape McClear in Malawi. Vor mir habe ich ein weißes Blatt Papier für meine weitere Reiseplanung. Tanzania und Zanzibar? Oder doch über den See und dann in den Norden Mosambiks? Johannesburg oder Harare? Ich habe Zeit, Spaß am Reisen und bisher so viele gute Erfahrungen gemacht, dass ich fast vergesse wie glücklich ich mich schätzen kann überhaupt hier zu sitzen. Der Traum durch Afrika zu reisen ist Realität geworden.

Innere Ruhe In einem dunklen Raum steht ein einzelner Computer, der Bildschirm flackert und quietschende Laute kommen aus dem Modem als sich die Internetverbindung langsam aufbaut. Ich bin in Senga Bay am Malawisee und versuche auf meine E-Mails zuzugreifen. Als sich das Postfach endlich öffnet finde ich eine E-Mail aus Schweden, die Antwort auf meine Bewerbung um ein Studium. Doch irgendetwas stimmt nicht, der Text ist zu kurz. Und tatsächlich lese ich den folgenschweren Satz „Ihre Bewerbung wurde gelöscht, da ihr Profil nicht den Anforderungen entspricht“. Für einen Augenblick bin ich geschockt. Mit der Absage fällt meine gesamte Planung für die Zeit nach Afrika, einen Plan B habe ich nicht und für neue Bewerbungen ist es ohnehin zu spät. Ich bezahle für das Internet und gehe ins Dorf. Als ich über den Markt schlendere und das bunte Marktreiben sehe muss ich grinsen. Was für eine Ironie. Gerade erst ist für mich eine ganze Welt zusammengebrochen und doch berührt es mich irgendwie gar nicht. Ich bin in Afrika, auf meiner großen Reise. Schweden ist weit weg, das Studium ist es auch. Irgendwie wird es schon weitergehen. Die Erde dreht sich weiter und es gibt nichts Unwichtigeres als den perfekten Lebenslauf. Kein Ort hätte mir das anschaulicher vermitteln können als das malawische Senga Bay.

Malaria Mein Kopf hämmert, meine Beine sind schwach und ich habe Schüttelfrost. Mit Mühe lese ich mir die Information auf dem Zettel auf und unterschreibe. 60$ damit ich einen Arzt sehen kann. Es ist eine nette Ärztin, die mir einige Fragen stellt. Dann bekomme ich zwei Spritzen, zu diesem Zeitpunkt würde ich allem zustimmen um die Kopfschmerzen loszuwerden. Noch einmal 110$. Dann wird mir Blut abgenommen. Mit der Blutprobe fahren wir einige Straßen weiter in ein Labor. 50$ und das Blut wird auf Malaria untersucht. Nach einer endlos langen Stunde dann das Ergebnis. Es ist kein Malaria. Es soll noch zwei Tage dauern bis die Medikamente wirken, aber der Befund ist beruhigend.