Der schwierige Norden


„Reisen in Afrika ist gar nicht so schwierig, wie immer gesagt wird.“ So sah mein Urteil nach den ersten drei Reisewochen aus. Ganz im Gegenteil, denn wenn man nur flexibel genug ist, kann Reisen hier richtig spannend sein. Das erste Mal, dass ich längere Zeit am Straßenrand stand um eine Mitfahrgelegenheit zu finden, gesellte sich direkt ein Junge zu mir. Er würde so lange mit mir warten, bis jemand vorbeikäme, sagte er entschlossen. Die besten Vermittler von Mitfahrgelegenheiten waren Polizisten an Straßenkontrollstellen. Einmal von einem Polizisten gefragt, konnten die Autofahrer kaum noch ablehnen mich mitzunehmen. Das funktioniert auch in Namibia, wo Trampen eigentlich untersagt ist.

Die Fahrten waren immer wieder eine Überraschung. Einmal saß ich fünf Stunden zwischen Schulkindern im Bus einer Mission aus Südafrika und habe Hangman gespielt, ein anderes Mal hatten zwei Männer Spaß daran ihren Allradantrieb auszuprobieren und machten einen einstündigen Umweg für mich. Weniger spaßig war die Geldstrafe, die mein Fahrer in Sambia dafür bekam mich mitgenommen zu haben, ohne eine Lizenz zu haben. Je ländlicher die Gegend, desto abenteuerlicher das Reisen. Entweder wurden die Fahrzeuge immer kleiner, oder aber die Anzahl der Passagiere immer höher. Wenn ich mir nicht mit zehn anderen Passagieren die Ladefläche eines Pickups teilen durfte, saß ich mit angewinkelten Beinen in einem Minibus und habe nicht selten Bäume gezählt um von schmerzenden Körperteilen abzulenken. Man gewöhnt sich an vieles und selbst als ich mit vier anderen Personen auf den vorderen zwei Sitzen eines normalen Kleinwagens saß (das schließt zwei Personen auf dem Fahrersitz ein), ist meine Ungläubigkeit schnell einer Gleichgültigkeit gewichen. So ist das Reisen hier eben, anders aber es funktioniert gut.

Dachte ich, doch dann kam der Norden Mosambiks. Die weitestgehend unbewohnte Fläche zwischen Malawi und dem indischen Ozean stellt für mich zwei Rekorde auf. Zum einen ist sie die wahrscheinlich schönste Natur, die ich jemals gesehen habe und zum anderen das am schwierigsten zu bereisende Land. Es scheitert schon am Wesentlichsten, der Sprache. Mein Plan, mit den portugiesisch sprechenden Einwohnern einfach Spanisch zu reden, schlägt völlig fehl. Stattdessen muss ich meist mit Zeichensprache improvisieren. Hier im Norden fange ich auch zum ersten Mal an, mir über Essen Gedanken zu machen. Auf einmal gibt es keine Supermärkte mehr, während die Familien von dem leben, was sie anbauen, muss ich mich mit dem zufrieden geben, was auf der Straße verkauft wird. Oft sind das nur Bananen und trockene Kekse. Morgens, mittags, abends.
Geduldsprobe Nummer eins ist noch sehr angenehm. Mit dem Zug fahre ich eine Strecke von 300 Kilometern, für die wir 10 Stunden brauchen. Der Zug hält in jedem kleinen Dorf, die Bewohner kommen auf die Wagons zugelaufen und verkaufen ihre Ernten. Mal sind es Bananen, mal Erdnüsse, mal Zuckerrohr. Als ich erzähle, dass Züge in Deutschland die Strecke in einer Stunde fahren können, machen die Menschen große Augen. Allerdings erst nachdem ein englischsprachiger Mosambikaner ins Portugiesische übersetzt hat.




Horror wird das Reisen erst, als ich in einem Dorf ungereinigtes Wasser trinke. Am nächsten Tag rebelliet mein Körper, zu diesem Zeitpunkt sitze ich schon zwischen zwanzig Mitreisenden auf einem Pickup. Die Fahrt will kein Ende nehmen, ich sitze hinten auf der Ladefläche, muss mich an Maissäcken festkrallen und kämpfe gegen die Übelkeit. Kalter Fahrtwind fegt mir ins Gesicht und die Schlaglöcher der Schlammstraße drohen mich vom Wagen zu katapultieren. Zu allem Überfluss hält mein Sitznachbar ein Huhn im Arm, das direkt vor meinem Gesicht immer wieder aufgeregt mit den Flügeln schlägt. Doch als es dann schließlich ein Ei legt, muss auch ich lachen. Erst sieben Stunden später, als es schon längst dunkel ist, kommen wir an.

Der nächste Tag stellt die Geduldsprobe Nummer zwei dar. Um Punkt sechs Uhr morgens nehme ich Platz in einem Minibus, mein Rucksack wird im Kofferraum verstaut. Ich frage den Fahrer, wann es losgehe. „Jetzt sofort“, sagt dieser, doch ich sehe die vielen leeren Sitze und mache mich auf eine Wartezeit gefasst. Lange Geschichte kurz: Noch elf Stunden später sitze im selben Minibus, der sich keinen Zentimeter bewegt hat. Ich glaube, noch nie habe ich so lange auf irgendetwas gewartet. Elf Studen zwischen Wut, Verzweiflung und Gleichgültigkeit in der afrikanischen Sonne. Beruhigend ist es, dass nach 5 Stunden sogar die einheimischen Fahrgäste ausrasten. Doch der Fahrer bleibt stur: Solange der Bus nicht voll ist, geht es nicht los, auch wenn das erst am nächsten Tag sein sollte. Als es abends endlich losgeht ist alle Wut vergessen, wir sind einfach nur erleichtert.

Es sind nur kleine Einblicke in viele Stunden einer anstrengenden Reise durch den Norden Mosambiks. Doch im Nachhinein sind es gerade diese Stunden, die mir am meisten in Erinnerung bleiben und die somit die wertvollsten sind.