Bis ans Ende der Welt

Schon meinen letzten Beitrag hatte ich fälschlicherweise „Bis ans Ende der Welt“ genannt. Jetzt in der Osterwoche war ich wirklich dort.

Auch im fünfzehnten Jahrhundert muss Bartolomeu Diaz bereits gewusst haben, dass er unter der südafrikanischen Küste so schnell nicht mehr auf Land stoßen würde. Als der Portugiese merkte, das Ende des afrikanischen Kontinents erreicht zu haben, gab er dem südwestlichsten Punkt den Namen Kap der Stürme – heute bekannt als Kap der guten Hoffnung. Als wir am Kap stehen und uns fragen, welche Landmasse südlich hinter dem Horizont liegt, kommt niemand auf Alaska. Doch in der Tat ist das unendlich weit entfernte Alaska die nächste große Landmasse hinter dem Südpol. Die Erde ist eben doch eine Kugel.

Der Punkt, den Diaz in die Weltkarte einzeichnet ist von nun an Ausganspunkt für die Eroberungszüge der europäischen Kolonialmächte. In den folgenden fünfhundert Jahren dringen zunächst die niederländische Buren und dann Briten in weite Teile Südafrikas und des heutigen Namibias vor. Eingeborene werden verdrängt, die Apartheid ist geschaffen.
Zeitgleich entwickelt sich die einstige Anlaufstelle am Kap zu einer der lebendigsten und faszinierendsten Städte des südlichen Afrikas. Kapstadt. Das alles gehört keineswegs zu meiner Allgemeinbildung, doch Reisen bildet.


Ich verbringe Ostern in einem Land, das mich eigentlich nie interessiert hat. Südafrika, ein weit entwickeltes Land ohne afrikanischen Charakter? Reiche Touristen, globalisierte Städte? Es stimmt, Kapstadt ist modern und international. Aber zu Recht zieht es den Besucher gerade deswegen so in den Bann.
Insgesamt eine Woche verbringen wir in einem Backpacker mitten in der Innenstadt. Abends ist viel los in den Straßen, Menschen ziehen von Bar zu Bar, Bands sorgen für Live-Musik. Es herrscht eine für afrikanische Verhältnisse überraschend entspannte Atmosphäre. Einige bettelnde Kinder wühlen sich mit eschreckender Routine durch die Menge und gehen gezielt auf die reichen Touristen zu. An jeder zweiten Straßenecke stehen Männer, die uns Drogen anbieten. Doch eine Großstadt ohne Armut und Kriminalität gibt es wohl nirgendwo auf der Welt.
Tagsüber schlendern wir über die großen Märkte, auf denen Einheimische ihr Handwerk verkaufen. Etwa Tiere aus Holz, Spielzeugautos aus alten Coladosen, oder bunte Gemälde. Endlich kann wieder gehandelt werden.

Am Ostermontag besteigen wir den Tafelberg, dessen markante Erscheinung eindeutig mit in das Stadtbild gehört, da er unmittelbar hinter dem Zentrum in den Himmel ragt. Das Klima zwingt uns zu vielen kleinen Pausen während des gut dreistündigen Aufstieges. Doch der Ausblick lässt Erschöpfung und Verzweiflung schnell vergessen. Eine 360°-Drehung offenbart einen Blick über die Weiten des Atlantiks, die bergige Landschaft des Kaps und beinahe bis hin zum nahen indischen Ozean. Vor uns erstreckt sich das Stadtgebiet, dessen Dimensionen erst von hier oben ersichtlich werden. Nicht weit vor der Küste liegt Robben Island, die Insel, auf der Nelson Mandela einen Großteil seiner 27-jährigen Gefängnisstrafe absaß, bevor er 1994 Präsident Südafrikas wurde.




Mittwochs folgt eine besondere Begegnung, die uns bewusst macht, dass wir nicht in Europa sind. Wir sind mit zwei Autos am Kap unterwegs, als eine alte Lötverbindung am Auspuff des einen Wagens bricht und selbiger über den Teer schleift. Als wir anhalten um den Schaden zu begutachten, werden wir von einem Mann beobachtet, der am Straßenrand steht. Noch bevor wir einen Beschluss fassen können, gesellt er sich zu uns und legt sich unter das Auto. Aus der Tasche zieht er einen Draht, aus dem er sonst wahrscheinlich eine Giraffe oder ein Spielzeugauto gebogen hätte. Aus einem naheliegenden Dorf nähern sich weitere Einheimische und schon bald liegen drei Männer unter dem Wagen. Der Draht alleine reicht nicht, die Männer holen ein Eisenrohr aus dem Dorf, dass sie passend zurechtsägen. Mit dem Rohr wird die Bruchstelle stabilisiert, eine aufgeschnittene Coladose wird darumgewickelt und mit dem Draht befestigt. Mittlerweile packen sechs Männer mit an. Verwundert über die beispiellose Hilfsbereitschaft stehen wir daneben. Eine Viertelstunde später sind die Männer mit ihrer Arbeit zufrieden. Als Dank können wir ihnen nur ein wenig Geld und die Tüte Äpfel anbieten, die wir im Auto hatten. Das ist Afrika.




Nur so können wir unseren Weg direkt fortsetzen und schaffen es abends noch nach Simon’s Town. Um den Streifzug durch die Tierwelt der letzten Wochen perfekt zu machen, sehen wir hier eine Pinguinkolonie. Nirgendwo sonst auf der Welt, wagen sich die kleinen Tiere so nah an die Menschen heran. Hier leben sie an einem geschützten Strand direkt an der Stadt.


Die Woche ist schnell um, die Busfahrt zurück nach Windhoek dauert 23 Stunden. Mitten in der Nacht kommen wir an die Grenze. Der Beamte an der Passkontrolle starrt konzentriert auf seinen Bildschirm, er kämpft offensichtlich damit seine Augen offen zu halten. Ein anderer verwendet seine gesamte Konzentration darauf Orangensaft aus einem Kanister in eine Flasche umzufüllen. Nachts läuft auch hier alles ein wenig langsamer. Jugendliche Zivilbeamte mischen sich in die Gruppe und kontrollieren stichprobenartig die Gepäckstücke. Dann wird unser Pass gestempelt und wir abgetastet. Welkom terug by Namibië. Ein toller Urlaub geht vorbei, der doch irgendwie keiner war. Zwar erwartet mich jetzt wieder die Arbeit, doch Alltag ist Afrika noch lange nicht.